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Clinton der Gladiator

■ Baby Boomer und verblichene Stars feiern Amerikas Machtwechsel

Washington (taz) – Als Aretha Franklin alle aufforderte, den Nachbarn bei der Hand zu nehmen, gerieten die beiden Mittvierzigerinnen trotz kühler Temperaturen in Verzückung. „Ich fühle so viel Power in mir“, seufzte die eine. „Ich könnte schreien.“ Was sie dann doch unterließ, um gesittet hin- und herzuwippen wie oben auf der Bühne Al und Tipper Gore. Dabei war dieser Sonntag der Beginn einer Krönungszeremonie – jener kurzen Zeitspanne vor der Vereidigung des Präsidenten, in der sich die USA in eine Popmonarchie verwandeln. Im Jahre 1993 dauert dieses Ritual fünf Tage und kostet 25 Millionen Dollar. Schließlich feiert man einen Generationen- und Wertewechsel.

Der erste Tag galt dem Volk – in Gestalt von 500.000 Clinton-Fans. Die Hotels in Washington sind seit Monaten ausgebucht; vier Nächte in der „Prèmiere Presidential Package Suite“ des Ritz mit täglicher Kaviar- und Champagnerration plus Bentley mit Chauffeur kosten 23.000 Dollar. Wer immer darin logiert – am Sonntag pilgerte er wie alle anderen mit Lunchpaket und Thermoskanne zu den Grünanlagen zwischen Capitol und dem Lincoln Memorial. Angekündigt war eine „Reunion“; geboten wurde eine Mischung aus Gladiatoreneinzug, Wagneroper und Las Vegas. Zu pathetischer Musik stiegen Bill, Hillary, Al und Tipper die Stufen des mächtigen Lincoln- Denkmals herab, um Huldigungen von Amerikas Pop- und Kunstgarde entgegenzunehmen. James Earl Jones und Jack Nicholson verlasen, begleitet von Streichern des Militärorchesters, Lincoln-Zitate. Die unvermeidliche Reminiszenz an John F. Kennedy ging nahtlos in ein zuckersüßes „Stand By Me“ durch Soft-Soul-Star Luther Vandross über, der seinerseits das Mikrophon an Ruben Bladès und Kenny Rogers für ein „Glory Glory Hallelujah“ weiterreichte. Danach wurde es verdächtig still. Plötzlich, wie aus dem Nichts, taucht er auf der Bühne auf: Nein, nicht Elvis, was auch keinen mehr gewundert hätte, sondern Bob Dylan. Schnitt. Und Rückblick auf vergangene Idole, mit denen Bill Clinton später einmal in einem Atemzug genannt werden möchte: Opernstar Kathleen Battle mit „We Shall Overcome“; per Dokumentar-Video „I Have A Dream“, jene Rede, die Martin Luther King 1963 am gleichen Ort gehalten hat; als nächstes darf geschunkelt werden, mit Rap-Star LL Cool J: Ninety-three/ You And Me/ And Unity/Bring Me To The Party/ With Big Bill And Hillary. Jetzt krümmt sich auch Hillary vor Lachen, während Big Bill hinter kugelsicherem Glas weder präsidial noch königlich wirkt, sondern mit offenem Mund dasitzt wie ein ungläubiges Kind im Zirkus. Wer immer noch Stilbrüche zählt, muß jetzt aufgeben: Diana Ross tritt in einem blau-weiß-roten Ballkleid vom Durchmesser eines Fesselballons auf und singt „God Bless America“. Einzig schmerzlicher Zwischenfall: Michael Jackson, in schwarz-blau glitzender Gardeuniform, verpatzt seinen Einsatz bei „We Are The World“ und liegt mindestens einen Halbton daneben. Dafür küßt er vor Schreck Hillary Clinton auf die Wange. Andrea Böhm

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