: Intellektuelle im Krieg
■ Der "jugoslawische" Schriftsteller Ivan Ibanji sprach über die Situation in seinem Land
sprach über die Situation in seinem Land
„Vojislav Seselj hat einmal prahlerisch behauptet, er habe mehr Bücher geschrieben als gelesen“ - so charakterisierte am Montagabend der Belgrader Schriftsteller Ivan Ivanji den radikal-nationalistischen serbischen Politiker. Ivanji, ehemaliger Generalsekretär des jugoslawischen Schriftstellerverbandes, ist von der serbischen Machtpolitik Milosevics und seiner Politiker-Handlanger sichtlich abgestoßen. Er, der früher auch als Journalist, Diplomat und Dolmetscher tätig gewesen war, würde sich zwar am liebsten einfach als „jugoslawischen“ Schriftsteller sehen. Aber nicht unter den gegebenen nationalistischen Umständen.
Auf Einladung der Freien Akademie der Künste und moderiert von Gabriel Laub sollte er am Montagabend in der Hamburger Staatsbibliothek über die gegenwärtige Situation der Intellektuellen in der serbischen Hauptstadt sprechen. Stattdessen brachte er vor allem seine Fassungslosigkeit darüber zum Ausdruck, daß in seinem Land, wie er sagte, „Landsleute Landsleute umbringen.“ Und las zu Beginn der Veranstaltung eine seiner frühen Erzählungen vor, in der er sich mit ebendemselben Phänomen auseinanderzusetzen versuchte: die Geschichte eines Partisanen, der während des Zweiten Weltkriegs einen einst mit ihm befreundeten Tschetnik, also einen Angehörigen der nationalistisch-militanten Serben, erschießen mußte.
Daß Ivanji heute gerade diese Geschichte vorlas, war kein Zufall. Der gegenwärtige Krieg erinnert ihn in seiner Intention allerdings mehr an den Eroberungskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands, als an den Partisanenkampf unter Tito. In dessen Armee, wo man nationalistische Ausbrüche drakonisch bestrafte, wurden derartige Ressentiments unterdrückt (und damit vielleicht konserviert).
Dennoch betonte Ivanji wiederholt die Existenz eines nicht verhetzten, „anderen Serbiens“, aber es blieb der Eindruck einer großen Hilflosigkeit, seiner und die anderer serbischer Intellektueller im Raume stehen. Er versuchte zu dif-
1ferenzieren (zum Beispiel, wenn es um Personen wie den bedeutenden Nachkriegs-Schriftsteller und serbischen Präsidenten Cosic ging) und von der Sprache der festgeschriebenen Feindbilder loszukommen: von den Serben, den Kroaten, den Moslems wolle er so nicht sprechen, betonte er immer wieder. Sie seien ein reines Produkt der Propaganda, weiter nichts. Aber darüber, was im „anderen Serbien“ geschehe, konnte er letztlich nur wenig sagen. Es gebe sie, die nicht verhetz-
1ten Intellektuellen, aber als wirkungsvolle Front gegen den Nationalismus...? Bis vor kurzem hätten sie doch alle noch gedacht, Nationalismus sei nur etwas für die ganz Alten.
Immerhin gelang es Ivanji, das Publikum in eine außerordentlich rege Diskussion zu verwickeln. Die etwa hundert interessierten Zuhörer - darunter viele Jugoslawen - brachten reichlich Nachfragen mit ins Spiel: Welche Rolle im Konflikt die frühe Anerkennung Sloveniens
1und Kroatiens gespielt habe, wie es zu dem letzten Wahlergebnis in Restjugoslawien hatte kommen können, welche Fehler in der Geschichtsbewältigung gemacht worden seien. Auf die Frage: „Sie wirken ausgleichend, moderat und natürlich sympathischer als die Nationalisten. Aber war das nicht gerade der Luxus der Intellektuellen im ehemaligen Jugoslawien - sozusagen über allen Wassern zu schwimmen?“ blieb er die Antwort schuldig. Dorothea Schüler
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