: Reichlich Stoff für Jura-Seminare
■ Strafanzeigen gegen Berliner Verfassungsrichter wegen Honecker-Beschluß
Berlin. Das Bundesverfassungsgericht (BVG) wird voraussichtlich heute oder morgen über die Beschwerde der Nebenkläger gegen die Haftentlassung von Erich Honecker befinden. Das teilte gestern der am BVG tätige Präsidialrat Gotthard Wöhrmann auf Anfrage der taz mit. Mit der Frage, ob das Berliner Verfassungsgericht für den Fall Honecker überhaupt zuständig war, werde sich der 2. Senat des BVG wegen mangelnder Entscheidungserheblichkeit vermutlich nicht befassen, sagte Wöhrmann. „Aber vielleicht will der Senat dazu doch noch einen Satz sagen.“
Unterdessen schlägt die Entscheidung der neun Berliner Verfassungsrichter und -richterinnen weiter immer höhere Wellen. Zehn Personen, darunter acht bayerische CSU-Landtagsabgeordnete, haben gegen die Mitglieder des höchsten Berliner Gerichts inzwischen Strafanzeige wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung erstattet. Der frühere Berliner Justizsenator Rupert Scholz warf dem Verfassungsgericht vor, es habe der „rechtsstaatlichen Rechtspflege“ mit seiner Entscheidung „schweren Schaden“ zugefügt. Der an der Uni München lehrende Staatsrechtler Scholz ist felsenfest davon überzeugt, daß Berlin für das Verfahren gegen Honecker überhaupt nicht zuständig gewesen sei, weil darin Grundrecht, Strafrecht und Strafprozeßrecht berührt seien. Für dieses Bundesrecht sei allein das Karlsruher BVG zuständig.
Die Mitglieder des Berliner Verfassungsgerichts reagieren auf solche Kritik gelassen. Es sei völlig normal, daß über Entscheidungen gestritten werde, erklärte Verfassungsrichter Klaus Eschen. Er weigerte sich aber strikt, den eigenen Beschluß zu kommentieren.
Der Berliner Beschluß bietet reichlich Stoff für juristische Doktorarbeiten und Seminare. Denn bei der Frage der Zuständigkeit des Landes- und Bundesverfassungsgerichts scheiden sich schon lange die Geister. In den alten Bundesländern mogelten sich die Verfassungsgerichte – bis auf Bayern – darum herum, indem man sich mit strittigen Fällen gar nicht erst befaßte. Für die neuen Bundesländer ging Berlin mit gutem Beispiel voran. Was keiner merkte: Die Grundsatzentscheidung über die Frage der Zuständigkeit haben die Berliner Verfassungsrichter nicht im Fall Honecker, sondern schon Wochen vorher gefällt. plu
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