: Kohl ordnet sein Feudalsystem
Regierungsumbildung ohne Überraschungen: Wissmann wird neuer Forschungsminister, Borchert ersetzt Kiechle, Bötsch geht zur Post, Rexrodt ist der Mann nach Möllemann ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack
Selbst dem Bundeskanzler persönlich fällt es zunehmend schwer, sich die Namen der durch sein Kabinett huschenden Minister zu merken. Zweimal nacheinander sprach Helmut Kohl gestern vom „Verteidigungsminister Stoltenberg“, um sich rasch zu korrigieren, er meine natürlich Volker Rühe. Die Lapsi passierten, als Kohl gestern das vorstellte, was von der lange angekündigten Kabinettsumbildung übriggeblieben war: außer Versprechern nicht viel. Das Ergebnis barg keine Überraschungen.
Wie erwartet, beerbt der CDU- Wirtschaftspolitiker Matthias Wissmann Forschungsminister Heinz Riesenhuber. Der Bochumer Landwirt und CDU-Abgeordnete Jochen Borchert ersetzt den amtsmüden Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle (CSU). Auf Vorschlag der FDP soll der Treuhand-Manager Günther Rexrodt Jürgen Möllemans Nachfolger im Wirtschaftsministerium werden. Und schließlich schließt CSU-Landesgruppenchef Wolfgang Bötsch die Lücke im Postministerium, die dort durch den Rücktritt von Christian Schwarz-Schilling (CDU) kurz vor Weihnachten entstanden war.
Keine „Kabinettsreform“, wie sie Kohl ursprünglich geplant hatte, keinen neuen glanzvollen Namen konnte er bieten, lediglich eine „Straffung“ in der zweiten Reihe der Regierungsmannschaft: sieben von 33 parlamentarischen Staatssekretären will er entlassen, um ein „Zeichen“ für sparsame Haushaltsführung zu setzen. Kostet doch jeder dieser Posten den Steuerzahler jährlich etwa eine Million Mark, ohne daß richtig klar ist, wozu die „PSts“ gut sind – außer zur Einbindung allzu ehrgeiziger Parlamentarier in die Regierungsdisziplin.
Kohl selbst war aufgefallen, daß er mit dieser Kabinettsumbildung eher kleckerte als klotzte. Das vergangene Jahr, das erwähnte er von sich aus, habe ja schon vier ungeplante Neubesetzungen mit sich gebracht, darunter den Wechsel von Stoltenberg zu diesem ominösen Herrn, dessen Name ihm partout nicht haften bleiben wollte.
Furore machte Kohl gestern folglich nicht, wohl aber sorgte er für ein bißchen Friede in den Herzen der Minister, an denen der Kelch gestern doch noch vorüberging. Umweltminister Klaus Töpfer beispielsweise, einer der wenigen wirklich fachkompetenten Bonner Minister, zitterte fast bis zuletzt. In einen Vortrag über die von ihm befürwortete Klimasteuer flocht der Umweltminister mittendrin eine Bemerkung in eigener Sache ein. An seiner Universität, so der Hinweis des ehemaligen Professors für Volkswirtschaftslehre, sei er „nur beurlaubt“. Töpfer wußte selbst, wie diese Bemerkung verstanden werden mußte: als Anspielung auf Spekulationen, er könnte sein Amt verlieren.
Auch Töpfer selbst war fast bis zuletzt auf die Mutmaßungen der Kanzleramts-Astrologie angewiesen, denn Kohl dementierte nichts. Erst als der Kanzler auch am Montag nachmittag noch nicht angerufen hatte, atmeten Töpfers Mitarbeiter auf. Offensichtlich stand ihr Chef nicht auf der schwarzen Liste. „Morgen“, so stöhnte Töpfer am Montag abend, „haben wir es hinter uns.“ Angesichts des Kohlschen Führungsstils drängte sich die Frage auf, was man wohl als das größere Übel zu betrachten hätte: von Kohl regiert zu werden oder mit ihm zu regieren? – Postminister Schwarz-Schilling hatte diese Frage für sich bereits entschieden, als er mit seinem Rücktritt kurz vor Weihnachten seine drohende Entfernung aus dem Kabinett selbst vorwegnahm. Als Minister auf Abruf, so Schwarz-Schilling damals, sei Regieren eine Qual. Riesenhuber hoffte dagegen bis zuletzt, währenddessen seine Mitarbeiter schon mit seiner Abberufung rechneten: wer so lange als Abstiegskandidat gehandelt werde, ohne daß ein Dementi folge, dessen Tage dürften gezählt sein.
Warum Riesenhuber seinen Posten abgeben mußte, dies zu erklären, fiel selbst Helmut Kohl gestern schwer. Nach dem er lang und breit die Verdienste des Forschungsministers aufgezählt hatte, begründete er dessen Ausscheiden erst auf Nachfragen mit dem Argument, man müsse „einen jüngeren Kollegen“ zum Zuge kommen lassen. Tatsächlich war das Motiv wohl ein ganz anderes: Kohls Feudalsystem verlangt, daß wenigstens ein Baden-Württemberger den Kabinettstisch schmückt. Seit Wolfgang Schäubles Wechsel zum Fraktionsvorsitz war das Amt des Schwaben vom Dienst vakant. Nun füllt es Matthias Wissmann wieder aus.
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