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Von der Reiter-SS zum Weltärztechef

■ Designierter Präsident des Weltärztebundes, soll in der NS-Zeit die Ermordung einer 14jährigen begünstigt haben

Berlin (taz) – Die Nominierung Hans-Joachim Sewerings, 76, zum Präsidenten des Weltärztebundes hat jetzt für weltweite Aufmerksamkeit und Empörung gesorgt. Gegen seinen Amtsantritt im Oktober dieses Jahres wird geltend gemacht, daß er 1943 eine 14jährige Patientin der Tuberkulose- Klinik Schönbrunn, wo Sewering seit 1942 als Arzt tätig war, nach Eglfing-Haar überwies. Eglfing- Haar war eine bekannte Euthanasiestätte der Nazis. Sewering will von diesen Vorwürfen nichts wissen und meint, daß es sich „um uralte Kamellen“ handelt, die allesamt widerlegt sind.

Die Vorwürfe sind tatsächlich uralt. Sie wurden bereits 1965 in dem Buch „Selektion in der Heilanstalt 1939 bis 1945“ von Gerhard Schmidt vorgebracht und in einem Spiegel-Artikel im Jahre 1978 publiziert. Danach ergibt sich ein schauriges Bild von den Überweisungspraktiken von Schönbrunn nach Eglfing-Haar und ein schauriges Bild von Sewering.

Erhalten blieb ein „Ärztliches Zeugnis“, welches Sewering am 26. Oktober 1943 über die 14jährige Babette F., seit neun Jahren Patientin in Schönbrunn, ausstellte. „Babette F., geb. 7.7.29 leidet an Epilepsie. Da sie sehr unruhig wird, ist sie für Schönbrunn nicht mehr geeignet; sie wird an die zuständige Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar eingewiesen.“ Unterschrift: „Dr. Sewering“. Am 1. November wurde in Eglfing-Haar ein Krankenblatt angelegt, das die 14jährige als körperlich o.B. (ohne Befund) auswies. Dennoch lautet die Eintragung 15 Tage später: „Heute Exitus“.

Schwer vorstellbar, daß Sewering von den Praktiken der Euthanasiestätte nichts wußte. Nicht nur die Schwestern von Schönbrunn, auch die Patienten waren über Eglfing-Haar aufgeklärt. Eine Mitarbeiterin von Schönbrunn sagte 1978 gegenüber dem Spiegel: Wenn etwa Sewering und ein SS- Kollege am Sonntag in schwarzer Uniform spazierengingen, habe sich „kein Pflegling im Freien blicken lassen“.

Aufgebracht hat die neuerliche Diskussion um den bereits Gewählten Sewering Michael Kochen, Professor und Arzt am Klinikum Göttingen: Angesichts der „politischen Entwicklung in Deutschland“ verbiete es sich, daß ein „Mann mit dieser Biographie die Präsidentenschaft des Weltärztebundes übernehmen soll“.

Dieser Meinung sind weder der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, dessen Verband den Umstrittenen zur Wahl aufstellte, noch der Generalsekretär des Weltärztebundes André Wynen. In einem Brief an den Generalsekretär der „American Medical Association“ schreibt Vilmar: „Die Anschuldigungen werden seit fast dreißig Jahren wiederholt. Aber außer seiner Mitgliedschaft in einer NS-Organisation konnte keine der Anschuldigungen bewiesen werden.“ Der Beweis, also die gerichtliche Verurteilung, ist tatsächlich bis heute nicht erfolgt. Kommt das aber wirklich einem Freispruch gleich?

Auch der Vorwurf, Sewering sei seit 1933 Mitglied der „Reiter-SS“ gewesen, läßt den Arzt kalt. Diese Organisation sei nicht an den Verbrechen der SS beteiligt gewesen, das hätten auch die Alliierten nach dem Krieg gemeint. „Das einzige, was die Reiter-SS gemacht hat, war, daß sie sich zum Reiten getroffen hat.“ Und die Behauptung, daß er dort bereits 1933 eingetreten sei, weil „man ja gar keine Wahl hatte“, muß schlechterdings als unrichtig bewertet werden.

Entlastet wird Sewering auch durch die Äußerungen André Wynens. Die wahlberechtigten Delegierten für die Präsidentenschaft des Weltärztebundes seien über „die Vergangenheit Sewerings aufgeklärt“ gewesen, sagte er der taz. Die Tatsache, daß er von der deutschen Bundesärztekammer aufgestellt worden sei, spräche für ihn. Außerdem „arbeiten wir seit dreißig Jahren mit ihm zusammen. Sewering ist seit 21 Jahren Schatzmeister des Weltärztebundes.“ Vor allem aber sei Sewering gerade in „ärztlich-ethischer Hinsicht sehr engagiert“.

In der Tat. Als Präsident der Bundesärztekammer sagte er auf dem „Bayrischen Ärztetag“ 1977: „Ärztliches Handeln darf nie mit dem Ziel übereinstimmen, ein Leben zu beenden.“ Und: „Der Mensch klammert sich im Krankenhaus an den letzten Strohhalm. Er darf daher unter keinen Umständen Sorge haben müssen, daß der Arzt eines Tages mit der Spritze an sein Bett tritt, um den Patienten umzubringen.“

Noch ist Sewering nicht Präsident. Durch einen neuerlichen Beschluß könnte die Amtsübernahme noch in Frage gestellt werden. Julia Albrecht

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