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Deutsch in sechs Monaten

■ Auffangklasse für Flüchtlingskinder: Unterricht wie in der Zwergschule / Kürzungen drohen

: Unterricht

wie in der Zwergschule/ Kürzungen drohen

Sätze mit „weil“ sind dran. „Warum bist du nicht gekommen? — Ich hatte keine Zeit“, schreibt Lehrer Gert Wilkens an die Tafel. „Ich bin gestern nicht gekommen, weil ich keine Zeit hatte“, sagt ein Mädchen aus der zweiten Reihe. Die Antwort scheint babyleicht. Das Verb nach hinten, das Wörtchen „weil“ dazwischen. Nur, daß die Sprache für die Schüler fremd ist. Wir befinden uns in der „Auffangklasse 7-9“ an der Schule Slomanstieg, in der neun junge Bosnier, zwei Türken, drei Kurden, drei Albaner, ein Afghane und ein Franzose in sechs Monaten Deutsch lernen, bevor sie in eine multinationale Vorbereitungsklasse kommen.

„Sehr gut“, lobt der Lehrer. Die anderen Schüler melden sich eifrig. Anir, ein 13jähriger Junge aus Breza bei Sarajevo, ist dran, spricht langsam, mit Pausen: „Ich bin gestern nicht zur Schule gekommen, weil Sonntag war“. Der Lehrer fragt nach, ob das gut oder schlecht ist. „Schlecht“, antwortet Adem (15), „weil ich keine Freunde habe“. Ohne Schule sei es langweilig. Essen, schlafen, fernsehen, immer das gleiche.

„Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell die lernen“, sagt Klassenlehrer Eldert Wowerat. Die Arbeit mache Spaß. Er hat 15 Jahre lang Hauptschüler unterrichtet, „im Vergleich zu denen sind diese Schüler hochmotiviert“.

Nach der Pause kommt eine neue Übung dran. Sätze mit „obwohl“. Der Lehrer verrät das Wort nicht, schreibt an die Tafel: „Ich gehe in die Schule — Ich bin krank“. Auf der Seite der bosnischen und türkischen Schüler gehen die Finger hoch. Die beiden Kurden Barisch und Mussa auf der linken Seite sind still. Wie Orhan, ein Kosovo-Albaner, haben sie in ihrem Heimatland wenig Unterricht gehabt. Später, bei einer schriftlichen Übung, stellt sich heraus, daß es besser wäre, man hätte ihnen nochmal in Ruhe die „weil“-Sätze erklärt. Doch getrennten Unterricht gibt es kaum noch. Eine Sparmaßnahme der Behörde. „Ich hab jetzt nur noch vier Teilungsstunden. Früher hatte ich acht“, rechnet Wowerat nach. Das Niveau in der Klasse sei sehr unterschiedlich — wie in einer Zwergschule. Bei der letzten Mathearbeit gab's viele Einsen und viele Sechsen. Einige könnten aufs Gymnasium gehen, andere hätten es nie gelernt zu lernen, sind eingeschüchtert. Im ehemaligen Jugoslawien sei die Prügelstrafe noch üblich.

„Wir wollen es den Schülern hier nett machen“, sagt Wowerats Kollege Gert Wilkens. Nach den Beamten der Ausländerbehörde seien die Lehrer die ersten Deutschen, mit denen die meist aus Bürgerkriegs-Ländern geflüchteten Kinder Kontakt haben. Weil letzten Herbst unerwartet viele minderjährige Flüchtlinge kamen, wurden die Klassen von 20 auf 30 vergrößert.

1Auf dem Tisch im Lehrerzimmer liegt ein Info-Blatt vom Personalrat. Oberschulrat Schwencke, so steht dort, habe zugesichert, die Kürzungen zurückzunehmen. Der Senat wolle am 19. Januar neue Stellen bewilligen. Doch dort wurde das Thema vertagt.

„Wenn wir keine neuen Stellen kriegen, können wir das ganze vergessen“, sagt Eldert Wowerat. In diesen Klassen den Unterricht nicht aufzuteilen, heiße immer, einen Teil der Schüler zu vernachlässigen, also entweder zu unterfordern oder zu überfordern. Auf die Frage nach „obwohl“ kommen viele falsche Antworten, bevor Jean-Luc, ein Franzose, an die Reihe kommt. Er hat einfach im Übungsheft eine Seite vorgeschlagen und dieses komische deutsche Wort gefunden. kaj

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