: Bomben im Irak treffen auch Demirel
Öffentlichkeit und Opposition in der Türkei fühlen sich übel hintergangen/ Angriffe vom türkischen Stützpunkt Incirlik wurden verheimlicht/ Saddam machte gestern Rückzieher ■ Von Ömer Erzeren
Die vom Irak einseitig verkündete Feuerpause, die seit Mittwoch morgen gilt, hält offenbar. Es habe bisher keine neuen Zwischenfälle gegeben, meldete am Mittag die amerikanische Fernsehgesellschaft CNN.
Die Golfkriegs-Alliierten äußerten sich aber zurückhaltend, daß damit die aktuelle Krise endgültig beendet ist, auch wenn die UNO jetzt die Basis für weitere Waffeninspektionen im Irak wieder gegeben sieht.
Mit Blick auf die Amtseinführung von Bill Clinton als US-Präsident hatte der Revolutionäre Kommandorat des Irak am Dienstag abend erklärt, ab acht Uhr Ortszeit (sechs Uhr MEZ – Mitternacht Washington) werde nicht mehr das Feuer eröffnet, „ausgenommen bei Beschuß durch die andere Seite“. Clinton zeigte sich skeptisch und forderte von Iraks Staatschef Saddam Hussein die Bereitschaft, die UNO-Auflagen umzusetzen.
Auch Großbritanniens Regierungschef Major wollte durch das Angebot Bagdads noch keine grundsätzlich neue Lage sehen. Im Gegensatz dazu stehen Äußerungen des französischen UNO-Botschafters, der gleich nach der Ankündigung des Irak davon sprach, daß die Krise damit beigelegt sei. Frankreich übte auch Kritik an dem Angriff auf Bagdad, der durch die UNO-Resolutionen nicht gedeckt gewesen sei. Innenpolitisch unter Druck geriet die Regierung in Ankara wegen der Bombardements im Nordirak, die amerikanische Maschinen, die vom türkischen Stützpunkt Incirlik gestartet waren, durchgeführt hatten. Ministerpräsident Demirel, der gestern den syrischen Präsidenten Assad in Damaskus traf, begründete dies mit dem notwendigen Schutz für die Kurden im Nordirak. Nur so könne eine Teilung des Irak verhindert werden. Diese Erklärung reicht der türkischen Öffentlichkeit und der Opposition in keiner Weise. Noch vergangene Woche hatte Demirel nach den Militärattacken, die vom Süden erfolgten, erklärt, daß die Vorfälle die Türkei nichts angehen. „Solange es uns nichts angeht, möchten wir uns nicht einmischen. Es kann nicht die Rede davon sein, daß unsere Stützpunkte benutzt werden. Die USA haben auch nicht danach gefragt, sondern uns nur über den Verlauf der Operationen aufgeklärt. Die Ereignisse spielen sich im Süden des Irak ab und haben mit der Türkei nichts zu tun.“
Nur wenige Tage später starteten die amerikanischen Bomber vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik, um Ziele im Nordirak zu bombardieren. Der einflußreiche Kolumnist der türkischen Tageszeitung Hürriyet, Oktay Eksi, ist fast repräsentativ für die Kommentare in der türkischen Tagespresse. Nachdem klar war, daß auch von Incirlik Bomber starteten, nannte er Demirel „einen Meister der Demagogie“.
Im Zuge der militärischen Eskalation im Irak versuchte die türkische Regierung den Fakt, daß durch die Nutzung der Luftwaffenbasis Incirlik die Türkei unmittelbar die amerikanischen Bombardements unterstützt, zu vertuschen. Zuerst hieß es, die Türkei stehe abseits der Ereignisse. Als irakische Raketenbasen im Norden des Landes bombardiert wurden, hieß es, daß ein Flugzeug angegriffen worden sei und sich selbst verteidigt habe. Bereits während des Golfkrieges war das aktive, türkische Engagement der eigenen Bevölkerung verschwiegen worden. Über einen privaten, türkischen Fernsehsender, der das Programm von CNN übernahm, erfuhren die Türken damals, daß Incirlik eine militärische Hauptstütze des Krieges war, während sich die Regierung ausschwieg. Auch diesmal war es nicht anders. „Incirlik ist im Krieg“, titelte am Dienstag die liberale Tageszeitung Cumhuriyet, während Regierungspolitiker eifrig dementierten. In die Enge getrieben erklärte Ministerpräsident Demirel, daß die Türkei zwar keine Erlaubnis für die Benutzung von Incirlik für militärische Angriffe erteilt habe, aber daß es sich bei den Attacken der Amerikaner um das „legitime Recht auf Selbstverteidigung“ handeln würde. „Im Falle der Gefahr muß ohnehin der Pilot entscheiden“, sagte Demirel lapidar.
Seit dem Sommer 1991 beherbergt der Luftwaffenstützpunkt Incirlik die alliierte Streitmacht „Poised Hammer“ („Schwebender Hammer“), die zum Schutz der irakischen Kurden gedacht ist und die No-Fly-Zone nördlich des 36. Breitengrades kontrollieren soll. Insgesamt 48 Flugzeuge und fast 2.000 Mann sind im Rahmen von „Poised Hammer“ in Incirlik stationiert. Nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen hatte das türkische Parlament vor einem Monat den Stationierungsvertrag für die alliierte Militärmacht verlängert. Türkische Kommentatoren weisen darauf hin, daß der Vertrag nicht das Recht auf einen Angriffskrieg mit einschließt. Schließlich gestand Ministerpräsident Demirel ein, daß „Poised Hammer“ nicht zur „Zierde“ da sei und keine „Vogelscheuche“ darstelle.
Sein Außenminister Hikmet Cetin konkretisierte, warum die türkische Regierung sich vollends im Fahrwasser der USA befindet: „Gäbe es nicht ,Poised Hammer‘, stünden erneut 500.000 Kurden vor unserer Tür.“ Die Türkei war es, die nach der Massenflucht der irakischen Kurden in die Türkei und den Iran auf eine Intervention der Alliierten drängte.
Die Bomben auf den Irak haben die türkischen Regierungspolitiker, die seit Monaten eine militärische Intervention der internationalen Staatengemeinschaft in Bosnien fordern, in Legitimationsschwierigkeiten gebracht. Nach dem Beginn der US-Angriffe vergangene Woche bedauerte auch Regierungssprecher Akin Gönen, daß nicht in Bosnien interveniert werde.
Deniz Baykal, Führer der sozialdemokratischen Oppositionspartei „Republikanische Volkspartei“, steht stellvertretend für viele Türken: „Nach der Intervention im Irak liegt die Indifferenz gegenüber Bosnien offen auf der Hand. Es ist Ziel des Westens, den Widerstand der Moslems noch mehr zu brechen, damit sie am Friedenstisch alles akzeptieren. Der Westen zeigt bei diesen Ereignissen seinen Fanatismus.“
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