Keine Initialzündung

■ Interview mit Manfred Kolbe, CDU- Abgeordneter aus Grimma (Sachsen)

taz: Herr Kolbe, Sie sind unzufrieden mit dem Finanzvolumen, das Waigels Nachtragshaushalt für die neuen Länder vorsieht.

Kolbe: Das föderale Konsolidierungskonzept enthält einen mittel- und langfristigen Teil, der ab 1995 gilt, und den kurzfristigen. Das Konzept ab 1995 bewerte ich positiv. Wir haben zum ersten Mal ein Gesamtkonzept zur Finanzierung des Aufbaus Ost. Die Ostpolitiker kommen endlich aus der Rolle raus, ständig nachfordern zu müssen. Das Negative ist der Nachtragshaushalt für das Jahr 1993, der eigentlich als Nachtragshaushalt Ost angekündigt war. Aber was uns vorliegt, ist ein Nachtragshaushalt zum Ausgleich konjunktureller Schwächen. Damit wird erneut versäumt, für den Aufbau im Osten eine Initialzündung zu setzen. Das werden wir wahrscheinlich schon in wenigen Monaten mit noch höheren Anforderungen der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) bezahlen müssen. Außerdem fehlt jede Aussage zu den industriellen Kernen.

Was wäre jetzt nötig, um diese Initialzündung zu erreichen?

Im letzten August haben die ostdeutschen CDU-Abgeordneten in Erfurt zwei Notwendigkeiten genannt: den Aufbau eines selbständigen Mittelstands und die Sanierung industrieller Kerne. Für den Mittelstand brauchen wir eine Aufstockung der Investitionszulage weit über die geplanten 1,5 Milliarden hinaus, die Aufstockung der Gemeinschaftsaufgabe Wirtschaftsförderung, die Verbesserung des Eigenkapitalhilfeprogramms. Für die Industriesanierung müßte der Treuhandkreditrahmen von 30 auf 38 Mrd DM ausgeweitet werden. Das sind investive Ausgaben, die sich bezahlt machen, und sei es in Ersparnissen bei der BfA. Finanzieren würde ich das am liebsten über die Fortführung des Solidaritätszuschlags. Das war ein gerechtes Finanzierungsmittel, zu dem alle in Ost und West entsprechend ihrer steuerlichen Leistungsfähigkeit beigetragen haben, gerechter als die punktuellen Kürzungen im sozialen Bereich.

Aber das will weder die Unionsmehrheit noch die FDP...

Auch in der Union mehren sich die Stimmen, die das fordern. Und wenn das Konsolidierungskonzept nicht nur eine Trockenübung bleiben soll, brauchen wir im Bundesrat die SPD-Mehrheit.

Fürchten Sie angesichts dieses Haushalts nicht, daß ihr Optimismus für die mittel- und langfristigen Konzepte enttäuscht wird und die Politik wieder der Entwicklung hinterherlaufen wird?

Der Länderfinanzausgleich oder die Erblastenregelung sollen immerhin in gesetzliche Form gegossen werden. Davon wird niemand wieder herunterkommen, auch bei schlechter Konjunktur.

Als sächsischer Abgeordneter, der lange im Westen lebte, kennen Sie sich in beiden deutschen Welten aus. Sehen Sie in Ihrer Fraktion genug Bereitschaft, für den Osten etwas zu tun?

Von den knapp 30 Rednern, die in der ersten Fraktionssitzung gesprochen haben, kamen drei aus dem Osten. Nur wenige sind überhaupt auf den Aufbau Ost eingegangen. Man kann nicht ganz den Eindruck von der Hand weisen, daß mit dem Anwachsen der wirtschaftlichen Probleme im Westen der Osten etwas weiter in die Ferne rückt. Interview: Tissy Bruns