: Nazis in der zweiten Heimat
■ Das Deutschlandbild in den türkischen Medien
„Wir alle sind in Gefahr. Ein neues Nazi-Deutschland steht vor der Tür.“ Mit diesen Worten kommentierte die Istanbuler Tageszeitung Hürriyet den Anschlag von Mölln. Nicht erst seit dem 23. November, an dem drei türkische Menschen Opfer eines Brandanschlags wurden, ist der deutsche Rassismus ein Thema in der Türkei. Vor allem seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten beobachtet die türkische Öffentlichkeit mit großer Skepsis die Entwicklung hierzulande. Nach jahrelangem Desinteresse „kümmert“ sie sich auch wieder um die Deutschland-Türken.
Natürlich berichten die Zeitungen auch über die türkischen Geschäftsleute, die in Ostdeutschland erfolgreich investiert haben, es gibt Reportagen über die „Moschee“ von Potsdam oder aber auch über die unehelichen Kinder von Westberliner Türken in der ehemaligen DDR. Doch die Berichte über die rassistischen Vorkommnisse rückten im Laufe des vergangenen Jahres immer mehr in den Vordergrund. Ohnehin waren die Türken 1992 nicht gut auf die Deutschen zu sprechen: ein Großteil der türkischen Bevölkerung und alle türkischen Tageszeitungen – außer der mittlerweile eingestellten kurdischen Gündem – empfanden das von der Bonner Regierung im Frühjahr gegen die Türkei verhängte Waffenembargo als eine große Beleidigung. Die meisten Zeitungen sahen schon das Ende der deutsch-türkischen Freundschaft. Der Anschlag von Mölln kam genau in dieser Phase.
Bis Mölln hatten die Zeitungen eigentlich versucht, die rassistischen Mordanschläge und Übergriffe zu relativieren. Waffen waren die eine Seite, Deutschland als die „zweite Heimat“ die andere. Doch der Möllner Anschlag hat das Deutschlandbild in der Medienlandschaft der Türkei zunächst einmal total verfinstert. „Deutschland ist Türken zum Grab geworden“, „Nazis kommen“, „Blutrünstige deutsche Rassisten“ und „Nazi-Bestialität“ waren noch die harmlosesten Überschriften der Istanbuler Zeitungen. Die tragische und zu Recht sentimentale Berichterstattung der Deutschlandkorrespondenten und die angstvollen Reaktionen der hier lebenden Türken ließen in der Türkei eine massive Anti- Deutschlandstimmung hochkommen. Die gesamte türkische Medienlandschaft, ob regierungstreues Fernsehen oder liberale Blätter, ist sich einig: „Während sich die Deutschen für Menschenrechte einsetzen, morden Neonazis auf deutschen Straßen...“ – wie die linksliberale Cumhuriyet weisen fast alle Medien Deutschland darauf hin, sich erst um die eigenen innenpolitischen Probleme zu kümmern und die Minderheiten zu schützen, anstatt sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei einzumischen. Gleichzeitig werden aber auch die Kerzendemonstrationen, Mahnwachen und Konzerte der letzten Wochen, die vielen Solidaritätskundgebungen reich bebildert übermittelt. Die Zeitungen sind voll von Stellungnahmen, in denen die Türken als fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft wie auch der Wirtschaft dargestellt werden. Nicht nur deshalb setzen sich die Kommentare der letzten Tage gegen Selbstjustiz der Türken und für ihren Glauben an die deutsche Demokratie ein. Die einflußreichen Kolumnisten haben sich in den letzten Wochen maßvoll, wenn nicht optimistisch über die Zukunftsaussichten der Türken in Deutschland geäußert. In diesem Zusammenhang ist die Kolumne des bekannten Journalisten Emin Cölasan in der Hürriyet vom 24. Dezember sehr bezeichnend. Cölasan macht darauf aufmerksam, daß der Heilige Abend und der Geburtstag des Propheten Mohammed an diesem Tag zusammenfallen, was wegen der islamischen Zeitrechnung nur ganz selten der Fall ist. Er bezeichnet dies als höheres Zeichen und regt an, daß Christen und Moslems, nicht nur in Deutschland, zueinanderfinden. Hürriyet mit Emin Cölasan, ist in Berlin die meistgelesene türkische Tageszeitung. Cem Dalaman
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