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Die moderne Inquisition

■ „Lehrzuchtverfahren“ gegen feministische Theologin vorerst ausgesetzt/ Proteste begleiteten Verhandlung

Stuttgart (epd) – Das Lehrzuchtverfahren gegen die feministische Theologin Jutta Voss ist gestern nach mehrstündiger mündlicher Verhandlung vorübergehend ausgesetzt worden. Nach einem entsprechenden Antrag des Rechtsbeistands der Theologin beschloß das Spruchkollegium die Aussetzung, um selbst weitere Ermittlungen anstellen zu können. Der Theologin solle die Möglichkeit gegeben werden, ihren Standpunkt zu überdenken.

Die mündliche Verhandlung selbst hatte am Morgen unter lautstarken Protesten von etwa 100 Demonstrantinnen begonnen. Vorgeworfen wurde Voss, sie habe durch „schrift- und bekenntniswidrige“ Passagen ihres 1988 erschienenen Buches „Das Schwarzmond-Tabu – Die kulturelle Bedeutung des weiblichen Zyklus“ „das biblische, reformatorisch verstandene Evangelium von Jesus Christus in entscheidenden Grundzügen preisgegeben“. Sie könne daher nicht weiter mit der öffentlichen Wortverkündigung und der Verwaltung der Sakramente beauftragt bleiben, betonte die aus neun Mitgliedern bestehende Spruchkammer unter Vorsitz von Landesbischof Theo Sorg. Die Theologin, die seit 1990 in den „Wartestand“ versetzt wurde, werfe der Kirche vor, sie habe „durch ihre Machtansprüche die Heilige Schrift entheiligt“ und in den biblischen Kanon etwa nur das aufgenommen, „was der Machtkonstituierung der männlichen Hierarchie entsprach“.

In der kontrovers geführten Erörterung wandte sich Voss dagegen, „nur über althergebrachte Dogmen“ abgefragt zu werden und forderte einen differenzierten theologischen Dialog.

Außerdem monierte Voss, sie sei in dem Gutachten einer Fachtheologin „per Ferndiagnose“ psychiatrisch beurteilt worden. In diesem Gutachten, das von der Landeskirche eingeholt wurde, werde sie als schizophren bezeichnet und mit Saddam Hussein verglichen. Sie habe keine Widerspruchsmöglichkeit gegen diese Beurteilung gehabt.

Landesbischof Sorg wies die Behauptung von Voss zurück. Er bestritt, daß es keine inhaltlichen Gespräche mit der Pfarrerin gegeben habe. Die Kirchenleitung habe sich vielmehr intensiv mit ihrem Buch auseinandergesetzt.

Während der Verhandlung demonstrierten vor den Fenstern des Verhandlungssaales lautstark etwa hundert Frauen und Männer. Die Zuhörer im Saal mußten von Landesbischof Sorg mehrmals zur Ruhe ermahnt werden.

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