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Lachen wie ein Schrei

■ In der Reihe „Bühnen-Frauen“ spielt Peggy Lukac die authentische Geschichte der „Galizianerin“ im Ratibor-Theater

Auf der Bühne steht ein rostiges Eisenbett. Drum herum Bücher, ein Kassettenrekorder, ein Chanukka-Leuchter, ein Plastiksack mit Tabletten und eine Kochplatte samt Alutopf. In den schmuddeligen Kissen thront, bekleidet mit einem rosa Nachtjäckchen die Galizianerin. Sie kramt einen Nerzkragen hervor (vielleicht ist es auch nur Marder oder Frettchen), legt ihn um den faltigen Hals, schminkt Lippen und Wangen, setzt sich zurecht und beginnt zu erzählen.

Sie habe die Nachbarin als Faschistin beschimpft. Da habe die ihr zwar mit Anzeige gedroht, sie aber bleibe dabei: Faschistin. Überhaupt müsse man aufpassen, mit wem man sich heutzutage unterhalte. Die waren ja alle dabei. Sie wisse, wovon sie spreche: „Setzen Sie sich bequem, weil – das ist eine lange Geschichte.“

Chawa Fränkel, verheiratete Eva Deutsch, die sich selbst „Die Galizianerin“ nannte, hatte viel zu sagen. Sie sagte es der Autorin Brigitte Schwaiger am Telefon, diktierte es ihr in die Schreibmaschine, ruhte nicht eher, bis diese ein Buch daraus gemacht hatte. Eine etwa 60jährige Jüdin, einzige Überlebende ihrer Familie, die bis zu ihrem Tod vor einigen Jahren irgendwo in einer Wiener Etagenwohnung im Bett lag. Süchtig nach Tabletten und danach, andere zu beschuldigen, zu beschimpfen, ihnen ein wenig dessen heimzuzahlen, was sie selbst erlitt.

Peggy Lukac erzählt die authentische Geschichte der Galizianerin und ihr Bett steht auf der Bühne des Ratibor-Theaters. In der Regie von Ingrid Hammer drückt sie immer wieder die Bettdecke an die Brust, fährt sich durch die (falschen) Haare, spielt an den Ringen – eine schadenfrohe Alte, die mit ihrem Leid kokettiert und es schamlos genießt, Zuhörer zu haben. Dann wieder wirft sie den Kopf nach hinten, entblößt ihre gelben Zähne und lacht ein heiseres Lachen. Ein Lachen wie ein Schrei, ein Lachen, kurz vor dem Wahnsinn. Es hilft, die Erinnerungen zu ertragen.

Die Familie wird umgesiedelt, der Vater verhungert. Mit zwei ihrer Brüder trennt sie sich von der Mutter, sie können – gegen schmale Kost – in einem Gasthof arbeiten. Den gelben Stern stecken sie derweil in die Tasche. Als die Juden des Ortes deportiert werden, verstecken sich die drei in einer Latrine, entkommen so der Gestapo, nicht aber dem ehemaligen Hausmeister. Sie fliehen in ein Ghetto. Der jüdische Lagerpolizist liefert den kleinen Bruder aus. Er war noch keine 13. Noch heute würgt sie am Haß auf den Judenrat: vor den Deutschen konnte man Geheimnisse haben, vor denen nicht.

Sie geht mit ihrem Bruder nach Krakau. Er wird bei einer Razzia erschossen, sie verhaftet, aber: „Ich habe mich nicht frohlockend wollen vergasen lassen. Ich bin gerannt“, sagt sie. Und schließt: „So ist der abgebrochene Zweig alt geworden, ist verdorrt.“ Zuweilen schüttelt Peggy Lukac die flachen Hände flehentlich in Höhe der Schläfen. Dann wieder ißt sie verschämt schniefend und hastig schmatzend eine Mozartkugel. Mit heiserer Greisinnenstimme knarzt sie Jiddisch — mit einem kräftigen Schuß Wienerisch und in allen Timbres von verlöschend bis auftrumpfend: ein Hörspiel. Und doch hängt man auch optisch gebannt an ihren grellrot-verschmierten Lippen. Und das (trotz einiger Längen zu Anfang) immerhin neunzig Minuten lang.

„Die Galizianerin“ ist die siebte von neun Ein-Frau-Inszenierungen, die unter dem Titel „Bühnen- Frauen“ seit Anfang Dezember im Ratibor-Theater vorgestellt werden. Viele renommierte und zum Teil – wie Christiane Reiffs „Die Da!“ – schon mehrere Jahre alte Inszenierungen wurden und werden gebündelt gezeigt als ein Projekt über Frauen in der Geschichte und im Alltag. Das Ratibor-Theater, in der Cuvrystraße schon geographisch an der Schwelle von West nach Ost (und umgekehrt) angesiedelt, will eine solche Brückenfunktion auch programmatisch einnehmen. Einen Anfang macht die Auswahl der „Bühnenfrauen“. Mit Gerlinde Kempendorff, Heide Bartholomäus und Gina Pietsch kommt zumindest ein Drittel der Künstlerinnen aus dem Osten Berlins. Nach Peggy Lukac wird die Hamburgerin Gerlind Dillge ein Kabarettprogramm mit dem anheimelnden Titel „Deutschland – Römische Mördergrube. Eine totalitär-deutsche Revue“ vorstellen (27.–31.1.). Isabella Mamatis beschließt die Reihe mit ihren Lasker-Schülerschen „Fetzen Paradies“ (3.–7.2.). Danach gastiert Gerlinde Kempendorff noch einmal für ein paar Wochen mit ihren Marlene-Dietrich-Liedern. Das Ratibor-Theater öffnet, wiewohl es ein eigenes Ensemble hat, seine umgebaute Bühne erfreulicherweise auch gern anderen Projekten. Vielleicht ist das Haus auf dem Weg dazu, im Kleinen das zu tun, was die Theatermanufaktur im Großen verpaßte: Spielstätte und förderlicher Umschlagplatz verschiedenster theatralischer Individualprogramme zu sein. Ein künstlerisch anspruchsvolles Repertoire wird sein Publikum auf jeden Fall eher finden als eine müde, hausgemachte Ensuite-Bespielung. Petra Kohse

Heute und morgen, jeweils 20 Uhr, Cuvrystraße 20

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