: „Alles ist schon etabliert“
„Pop-Professor“ Peter Wicke über Rock in Forschung, Lehre und Praxis. Ein Interview ■ von Thomas Groß
Beträchtlich war der Medienauftrieb, als ruchbar wurde, daß Berlin sich künftig mit einem Professor für Pop und Rock schmücken darf (siehe taz vom 16.1.). Die „Morgenpost“ hatte es sogar so eilig, daß sie ein falsches Bild von Peter Wicke abdruckte. Dabei beschäftigt sich der gebürtige Sachse Wicke seit mehr als zwanzig Jahren wissenschaftlich mit Popmusik. 1983 gründete er das Forschungszentrum populäre Musik an der Ostberliner Humboldt-Uni. Aus seiner Feder stammen Studien zur Soziologie populärer Musik sowie eine „Anatomie des Rock“.
taz: Wie fühlt es sich von innen an, der weltweit erste veritable Professor für Rock und Pop zu sein?
Peter Wicke: Eigentlich gar nicht. Ich hab' ja schon sehr früh angefangen, mich mit dem Gegenstand auseinanderzusetzen, in einem internationalem Umfeld, was sich bildete zu der Zeit. 1983 hab' ich dann mit einer Gruppe von Studenten dieses Forschungszentrum gegründet, das war auch das erste in der Welt.
Bissel stolz?
Sagen wir mal so: Es ist natürlich schön, wenn man sieht, daß das Engagement für einen Gegenstand letztlich Erfolg hat. Wenn ich mich zurückerinnere, hatte man ja damals das Image: man ist bloß zu faul, was Richtiges zu machen, so Dünnbrettbohrer, und deshalb nimmt man sich diese Musik, die keine ist – in Anführungsstrichen natürlich. Bis zu dem Punkt, wo es dann erst mal in der akademischen Struktur so integriert ist, wie es sein sollte. dann hat so ein Präzedenzfall ja immer auch Folgen: auch in der Bundesrepublik wird man künftig – der Druck ist ja schon lange da – Bemühungen in dieser Richtung an anderen Unis nicht verhindern können. Also das ist schon ganz schön, wenn man sieht, daß das, was man investiert hat an Engagement, durchaus auch Sinn gemacht hat.
Die Boulevardpresse schreibt über Sie: „Statt auf Beethoven steht er auf Beatles, Heavy Metal, Punk und Techno: Pop-Professor Peter Wicke bringt Stimmung in die Humboldt-Uni.“ Das hört sich an, als würden bei Ihnen im Seminar Stühle zu Bruch gehen...
Ich glaube, man muß eine scharfe und deutliche Trennung ziehen zwischen dem Umgang mit Popmusik, den ich natürlich auch habe – der vor allem durch Vergnügen, Spaß und Sinnlichkeit geleitet ist –, und der theoretischen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen als einem ganz wichtigen gesellschaftlichen Phänomen. Insofern ist mir diese Art der Darstellung gar nicht so recht, weil ich es, was die Studenten angeht, gerne mit Leuten zu tun habe, die wirklich ernsthaft am Nachdenken über massenkulturelle Prozesse interessiert sind.
Wie würden Sie ihren Forschungsansatz umreißen?
Auf die knappste Formel gebracht ist es der Versuch, Popmusik als ein in modernen Gesellschaften verwurzeltes kulturelles Phänomen zu begreifen. Das heißt, daß man nicht wie die Kunstwissenschaften, den Zugang über Texte wählt oder das macht, was ich Fliegenbeinzählerei nenne, sondern daß die Blickrichtung immer darauf orientiert ist: wie wird mit diesen Klangmustern und Klangformen eigentlich umgegangen? Welche Auswirkungen hat das, und in welchen Zusammenhängen – zu denen dann eben auch juristische, technologische, ökonomische gehören – entwickelt sich so ein Phänomen eigentlich? Das heißt auch nach den Verbindungen zu suchen, die es in den Gesamtzusammenhang von Kultur, von Freizeit, Medien und Gesellschaft einordnen.
Klingt durchaus akademisch. Ein konkretes Beispiel?
Man geht etwa über ethnographische Studien der Frage nach, wie genau, mit welchen Wertvorstellungen gehen denn Jugendliche, bestimmte Jugendliche mit Popmusik um. Das können Untersuchungen sein über Freizeitgruppen von Mädchen – find' ich ein sehr spannendes Thema, hatten wir grad 'ne Dissertation mit der Fragestellung. Wo beziehen sie ihr Wissen her? Mit welchen Vorstellungen gehen sie an die Musik heran? Ein anderer Zugang zum selben Komplex wäre zum Beispiel aus der Perspektive der industriellen Zusammenhänge: Wie wirken sich Strategien im Bereich von Programmstrukturen bei den Medien und Marketingstrukturen bei den Tonträgerfirmen aus?
Einer Selbstdarstellung Ihres Instituts entnehme ich aber auch, daß ein starker Praxisbezug gewünscht wird, daß Leute, die bei Ihnen studiert haben, später beispielsweise als Medienkaufleute oder Kulturbeauftragte arbeiten könnten.
Für den Praxisbezug bin ich sehr, weil ich es für ziemlich verantwortungslos halte, an der Universität was zu betreiben im Wissen darum, daß die Leute, die sich drei, vier, fünf Jahre ihres Lebens einer solchen Sache widmen, anschließend arbeitslos sind. Auf der anderen Seite ist die Universität keine Stätte der Berufsausbildung im engeren Sinne. Was man dort macht, ist die theoretische und analytische Auseinandersetzung mit bestimmten Praxisfeldern. Es ist bloß so, daß die Leute, die Musik studiert haben – wenn sie nicht, was ja die Ausnahme ist, beim akademischen Nachwuchs landen oder arbeitslos werden –, automatisch in diesem Praxisbezug drin sind, auch jetzt schon.
Nun gibt es ja in der Popmusik eine Traditionslinie der Verweigerung und des Aufbegehrens. Wenn Popmusik zu einer Art Lehrberuf wird, wie steht's dann noch mit, sagen wir, dem „Break on Through To the other Side“ der Doors?
Schon der Begriff „Lehrberuf“ stört mich. Es geht schlichtweg – und das tritt gar nicht in Konflikt mit dem, was Sie ansprechen – darum, verstehen zu lernen. Das heißt überhaupt nicht, daß man sozusagen Verwaltungswissenschaft aufbaut. Wir sind auch keine Zulieferer in Richtung Musikindustrie. Dafür ist die Universität nicht da, wär' auch Unsinn, weil die Firmen haben eh ihre eigene Marktforschung.
Aber Ihr Lehrstuhl wird doch, wenn meine Informationen stimmen, zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus sogenannten Drittmitteln finanziert.
Ja, unterschiedlichster Herkunft. Das hat einfach damit zu tun, daß ich der Auffassung bin, daß es auch für die Wissenschaft günstiger ist, wenn sie sich Partner sucht für all das, was sie realisieren will, deren Interesse auch so weit geht, daß sie Forschungsprojekte finanziell mittragen. Das kann ganz unterschiedlicher Art sein, etwa Konferenzaktivitäten, jetzt ein größeres Forschungsprojekt, was aus Kulturfondsmitteln gefördert ist, es läuft in Sachsen ein Infrastrukturprojekt, was durch die Landesregierung gefördert ist. Ich würde für die Zukunft auch private Gelder nicht ausschließen, sofern die Bedingungen so sind, daß keinerlei direkter Einfluß auf die Forschung damit verbunden ist. Ich muß sagen: Aus meinen Kontakten mit den Industrieverbänden entnehme ich, daß auch dort im Kern die gleiche Auffassung herrscht. Sie würden sich keinen Gefallen damit tun, von uns etwas zu verlangen, was sie von darauf spezialisierten Unternehmen viel besser kriegen können.
Trotzdem: Wie würden Sie den Unterschied beschreiben zu einer Tradition westlicher Dissidenz, die sich ja um diese Popphänomene rankt und Pop immer als einer Art subkulturelles Kommunikationssystem begriffen hat?
Der Begriff „subkulturelles Informationssystem“ ist ein theoretisches Instrumentarium, was kulturelle Prozesse abbilden soll. Und in genau der Tradition sehen wir uns.
Aber geht das nicht im Endeffekt doch schwer zusammen – Subkultur und Institution?
Nee, warum? Was sie eben als Subkultur beschrieben haben, ist eines, und der Begriff ist das Instrumentarium dazu. Aber das ist ja auch nicht der einzige Prozeß, der da stattfindet. Sie können das Phänomen nicht reduzieren auf dieses eine Moment „subkultureller Informationszusammenhang“. Und auch der findet immer unter infrastrukturellen Bedingungen statt, die da sein müssen oder eben nicht da sind. Wenn ich mich zum Beispiel im Osten umsehe, in der ehemaligen DDR, und stelle fest, hier sind keine Bedingungen mehr da für subkulturelle Kommunikation, dann findet da eben einfach nichts mehr statt. Ich muß also auch nach den Bedingungen gucken, welche Strukturen da gebraucht werden. Das heißt ja nicht, daß ich sie kommunal verwalten muß und meinetwegen hineinorganisiere in soziokulturelle Zentren oder so was. Die Wissenschaft ist ohnehin nicht der Lehrmeister dafür. Was sie tun kann, ist, Zusammenhänge transparent zu machen.
Ein Grundsatz der Popbetrachtung hieß im Westen lange Zeit: Transparent machen heißt verraten, ausliefern an die Sinn-Stasi...
Das Problem hatten wir ja in der DDR auch, um dieses Problem weiß ich sehr gut. Allerdings – das gilt vor allem für den Westen, in der DDR war das noch mal komplizierter – ist das immer abhängig von dem Ethos und dem Verantwortungsbewußtsein des einzelnen, in welche Zusammenhänge er sich begibt, an wen er sich wendet, wenn er publiziert. Das ist ja steuerbar. Es ist schon die Entscheidung desjenigen der publiziert, ob es bloß darum geht, der Industrie Materialien zu liefern, die den Vermarktungsprozeß effizienter machen, oder auf der anderen Seite sozialen Sprengstoff durch geschickte Ausgestaltung von Institutionen, etwa auf dem kommunalen Bereich, aufzufangen.
Die „Berliner Zeitung“ nennt sie „Rockpapst der DDR“ – treffende Charakterisierung?
Völlig unzutreffend, wenn Sie meinen Status als parteiloser Assisent an der Universität betrachten. Auf der anderen Seite: wenn Sie sich auf einem Gebiet befinden, wo kaum jemand anderes publizistisch sich bewegt, dann haben Sie gigantische Auflagen und damit natürlich einen nicht unerheblichen Einfluß.
Von Erich Honecker stammt der phänomenale Satz „Wir haben nichts gegen einen gepflegten Beat“, so geäußert auf dem 11. Plenum des ZK der SED 1965. Wie war die Lage für Sie in der früheren DDR?
Es gab, grob gesagt, mehrere Phasen. 65, das war natürlich ein ganz schlimmes Plenum. Da war das offiziell ausgesprochene Verbot der Anfänge, die im Gefolge der Beatles auch in der DDR da waren und unter dem Schlagwort „Gitarrenbewegung“ vom Jugendverband zunächst sogar gefördert worden ist. Diese Paranoiker der Macht hatten schon ein Gespür, daß da was in Bewegung gerät, was möglicherweise nicht mehr unter Kontrolle zu kriegen ist. Ab 1970 gab es dann eine kulturpolitische Umpolung, initiiert durch den Jugendverband, der begriffen hatte, daß das so alles nicht zu machen ist, daß das zu Entfremdungserscheinungen führt bei den Jugendlichen. Die Weltfestspiele standen vor der Tür, das Land wollte sich präsentabel machen, man darf auch nicht vergessen, daß das die Zeit war, in der es um die diplomatische Anerkennung der DDR ging. Mitte der Siebziger setzte dann eine Entwicklung ein, die in der Biermann-Geschiche ihren Höhepunkt hatte. Sie mündete in eine Phase des bürokratischen Zugriffs, die wohl, was die Beschädigungen angeht, die effektivste war, also die erstickende Umarmung. Ab Mitte der Achtziger gab es das Phänomen der berühmten „anderen“ Bands: Leute, die sich komplett verweigerten, denen es deklariertermaßen egal war, ob sie Medien fanden oder keine. Das waren dann schon Zeichen für einen Prozeß der Desintegration, der kein gutes Ende nehmen konnte.
In all dem muß es für sie aber doch nicht nur das Allgemeine gegeben haben, sondern auch einen persönlichen Akzent, auch in der Musik...
Naja, der besondere Akzent lag in der Art der Fragestellung, die man gehabt hat. Zum Beispiel Punk – ick bin keen Punker, in dem Alter war ich ja ooch schon Mitte dreißig. Das ist ein ästhetisch-soziologisches Interesse gewesen, was da 'ne Rolle gespielt hat, und das unterscheidet mich natürlich von den Leuten, die das gelebt haben.
Was halten Sie von der These, daß in der heutigen Jugendkultur Spaß und Hedonismus den Rechten gehören?
Das halte ich angesichts dessen, was man leider beobachten muß, für nicht widerlegbar. Ich fürchte auch, daß das erst mal so bleiben wird. Denn wenn man sich fragt, was hinter dem Phänomen in den sechziger und siebziger Jahren stand, handelte es sich ja um die Auseinandersetzung mit festgefügten konservativen Wertmustern. So was läuft schon die ganzen achtziger Jahre über ziemlich ins Leere. Der Pluralismus hat alles erfaßt, es gibt keine Möglichkeiten für Jugendliche mehr, sich an etwas zu reiben. Was da noch bleibt, sind Ansätze, die schon von der Sache her gefährlich rechts liegen. Denn wenn alles möglich geworden ist, dann ist naheliegend, daß die Reibung in der Suche nach einer neuen Übersichtlichkeit liegt. Und da sind wir schon ganz nahe bei diesen simplizistischen Lösungen, die aus der rechten Ecke kommen. Insofern scheint mir das Phänomen nicht bloß irgendwelche Chaoten am Rande zu betreffen. Es hat eine strukturelle Ursache und wird uns damit wohl länger beschäftigen. Die Frage ist: Wie können Wertorientierungen aussehen? Wie müssen Sinnvermittlungen beschaffen sein, daß sie wieder greifen? Denn natürlich ist da bei den Jugendlichen auch die Erfahrung eines tiefgreifenden Sinnverlusts.
Andererseits war Rockmusik nie dazu da, Sinn aufzubauen, sie hat Sinn immer zerstört. Das ist doch gerade das Rauschhhafte daran, das Dada-Erbe. Die Rede von der Sinnstiftung klingt sozialarbeiterisch.
Sie können aber nicht leugnen, daß die Demontage von Sinn im Rock immer mit der Schaffung von eigenem Sinn verbunden war. Auch Sinnlichkeit hat was mit Sinn zu tun, die Ambivalenz ist schon sprachlich da. Mit Sinn meine ich ja nicht den institutionalisierten Sinn, den eine Gesellschaft immer hat und den man sich über Bildungseinrichtungen aneignet, damit das Ganze reibungslos funktioniert.
Von Walter Benjamin gibt es das pathetische Wort von den „Kräften des Rausches“, die es für die Revolution zu gewinnen gilt. Muß man nicht Lust und Hedonismus wieder zu einer Linkskoalition bringen?
Der Zugriff auf Räusche ist doch gar nicht mehr das Problem – wie etwa in den Fünfzigern. Das Problem ist, daß heute dafür nicht mehr ein orientierendes Koordinatensystem aufzubauen ist, das nicht in der Beliebigkeit versinkt. Alles gibt es schon, und vor allem: alles ist schon etabliert.
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