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Eva trug schwarz

Erinnerungen an Jeanne Moreau zu ihrem fünfundsechzigsten Geburtstag  ■ Von Norbert Grob

Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre war das Frauenbild hierzulande von Ruth Leuwerick und Maria Schell geprägt, eine biedere „Dame“ die eine, ein braves „Seelchen“ die andere. Das Übliche dominierte, das Glatte und Geschliffene des verlogenen Scheins. Irritationen kamen nur auf, wenn die eine oder die andere sich einließ auf Skandal oder Entgleisung, auf radikale Widerrede also – Maria Schell bei René Clement („Gervaise“, 1955) und Richard Brooks („Die Brüder Karamasov“, 1957), Ruth Leuwerick bei Gottfried Reinhardt („Liebling der Götter“, 1960) und Helmut Käutner („Die Rote“, 1962).

In Frankreich dagegen hatten Widerreden und Gegenbilder Hochkonjunktur. Die Frauen waren gezeichnet, als sei die Welt aus den Fugen geraten. Die Biederen waren über Gebühr genervt, die Braven zu Tode gelangweilt. Selbst die Unschuldigen kannten keine Prinzipien mehr. Eva trug schwarz.

Die Frauen waren lebenshungrig, ungestüm, selbstsüchtig. Und kein Mann hielt ihnen mehr, was er zu versprechen schien. Neben Jean Seberg (bei Preminger und Godard), Anna Karina (bei Godard) und Delphine Seyrig (bei Resnais und Duras) gab es eine Schauspielerin, die das Gefühl der Moderne, das Dissonante, Brüchige, Zerrissene der späten Nachkriegsjahre besonders betonte: Jeanne Moreau. In einer ihrer berührendsten Rollen, in Michelangelo Antonionis „Die Nacht“ (1960), ist sie von einer Melancholie der Leere und Resignation umgeben, die am Einverständnis mit den Göttern rüttelt. So als müsse sie das ganze Chaos in sich tragen, das die Menschen seit dem Sündenfall bedrückt und quält.

Jeanne Moreau hatte viele Gesichter. Doch selbst in ihren kommerzielleren Arbeiten blieb sie dem Ausdruck der Moderne verpflichtet: einer Schauspielerkunst, die verzaubert, ohne mit falschem Schein zu blenden. In ihrer ersten, interessanteren Rolle (in Jacques Beckers „Wenn es Nacht wird in Paris“, 1954) wird sie von Jean Gabin ausgefragt, angefaucht, schließlich geohrfeigt. Sie hält dem ruhig und gelassen stand. Dabei liegt ein trotziger Zug um ihren Mund, der von einer Stärke kündet, die der harte, alte Mann nicht einmal in seinen Träumen verstehen würde.

Im Kino wirkte sie manchmal spontan und verführerisch, manchmal mondän und verschlossen. Mal war sie impulsiv und natürlich, mal boshaft und verrucht. Geheimnisvoll und kompliziert blieb sie immer. Sie hatte etwas Rätselhaftes an sich, das auf einen tieferen Kern verwies, den sie nicht preisgab. Sie überschritt voller Wonne noch die gewagtesten Grenzen. Wenn sie aussah wie ein Engel, konnte man sich sicher sein, daß eine Hexe sich dahinter verbarg. Die Frage, ob sie sich selbst schön finde, verneinte sie schon früh: „Aber ich habe mich an mich gewöhnt.“

In Louis Malles „Fahrstuhl zum Schaffott“ (1957) hetzt sie durch die Straßen von Paris, auf der Suche nach ihrem Liebhaber, mit dem sie vereinbart hat, ihren Mann zu töten. In Malles „Die Liebenden“ (1958) langweilt sie sich zwischen ihrem bürgerlichen Ehemann und ihrem eleganten Liebhaber – und steigt dann mit einem aufmerksamen Jungen in die Badewanne; ihr Kommentar dazu: Nachts, wenn es sehr heiß ist, nehme sie immer ein Bad. In Roger Vadims „Gefährliche Liebschaften“ (1959) schmiedet sie mit Gérard Philippe eine Intrige nach der anderen, um das Laster über die Tugend triumphieren zu lassen; dabei hält sie sich an ein Prinzip: Sie betrügt ihre jeweiligen Liebhaber nicht, auch nicht mit ihrem Ehemann.

Höhepunkt ihrer Tragödien zwischen verschiedenen Männern ist ihre Cathérine in François Truffauts „Jules und Jim“ (1962). Da wählt sie mal den einen, mal den anderen. Sie heiratet Jules, liebt aber Jim. Und wenn sie, immer auf der Suche nach dem Moment der wahren Empfindung, sich für keinen der beiden entscheiden kann, läßt sie beide stehen und nimmt sich einen dritten: Albert, den Maler. „Man dreht sich weiter und weiter, doch sie waren unzertrennlich, blieben unzertrennlich zusammen.“ In dem berühmten Rennen über die Eisenbrücke hält sie sich wieder einmal an keine Regeln. Noch bevor Jules bis drei gezählt hat, rennt sie los. Als Jim ihr dann vorhält, sie habe gemogelt, antwortet sie bloß schnippisch: „Aber ich habe doch gewonnen.“ Wenn es ein Credo gibt, dem diese Figuren folgen, dann lautet es: Setze alles aufs Spiel, was es zu wagen gibt, so siegst du noch in der Niederlage!

Die Schauspielerei sei eine Zauberkunst, hat sie später einmal erklärt; seit es sie gebe, rätsele man daran herum, ohne eine Antwort zu finden. Wie kaum eine andere ihrer Generation hat sie deshalb mit ihren Rollen immer neue Fragen gestellt, ohne sich um die Antworten zu kümmern. Eine neue Windung auf der Spirale zu den letzten Geheimnissen zu erobern, hieß für sie: sich einzulassen auf immer gewagtere Arbeiten mit immer neuen Autoren des Kinos – mit Joseph Losey und Orson Welles, Jacques Demy und Louis Buñuel, Peter Brook und Tony Richardson, Marguerite Duras und André Téchine; und in den letzten Jahren noch mit Fassbinder und Wenders, Besson und Angelopoulos.

Geboren wurde Jeanne Moreau 1928 in Paris, in einer kleinen Seitenstraße am Place Blanche. Der Tristesse ihrer alltäglichen Umgebung habe sie, so gestand sie später, mit ständigem Lesen getrotzt. Die Poesie habe ihr ganz andere Welten eröffnet. Wendepunkt ihres Lebens sei schließlich dieser absolute Wunsch gewesen, Schauspielerin zu werden. „Die Leute im Dunkeln, ich im Licht.“ Bereits 1944 sprach sie an der Comédie Française vor, wurde als Schülerin angenommen und dann, 1948, als jüngstes Mitglied engagiert. 1952 wechselte sie zum ThéÛtre National Populaire und reüssierte dort in vielen Rollen. Ihr Kinodebüt gab sie 1948 in „Letzte Liebe“ von Jean Stelli. Als Regisseurin legte sie 1976 einen interessanten, berührenden Film vor: „Im Scheinwerferlicht“, für den sie auch das Buch schrieb und die Hauptrolle übernahm.

Ob sie denn daran denke, demnächst einmal aufzuhören, wurde sie vor kurzem von einer jüngeren Frau gefragt. Ihre Antwort, sehr betroffen, aber bestimmt: „Aufhören? Ich bin doch keine Büroangestellte. Ich habe keine Pension. Jemand, der kreativ ist, der ist tätig bis zu seiner letzten Stunde. Ich will noch nicht sterben. Erst wenn ich sterbe, höre ich mit der Arbeit auf.“

Gesundheit wünschen wir ihr zu ihrem heute fünfundsechzigsten Geburtstag. Und noch viele aufregende, gewagte Rollen.

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