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Kopftuch als Zeichen

Ist Religion Sache des Staates oder der Privatperson? Warum muslimische Mädchen in französischen Schulen nun doch Kopftücher tragen dürfen. Plädoyer für eine Öffnung des Laizismus gegenüber religiösem Wissen  ■ Von Béatrice Durand

Im Jahre 1989 verbot die Direktion einer Schule im Pariser Vorort Creil drei muslimischen Mädchen, ihr Kopftuch zu tragen. Dies sei Zeichen religiösen Bekehrungseifers, für den in den französischen öffentlichen Schulen, die religiös neutral, laique, sind und bleiben sollen, kein Platz ist. Seit dieser Vorfall von den Medien zu einer Affäre nationalen Ranges aufgeputscht wurde, sind ähnliche Konflikte immer wieder aufgetaucht, bis im November 1992 der Conseil d'État die Entscheidung eines Schuldirektors, Schülerinnen, die das Kopftuch trotz Verbots weitertrugen, aus der Schule auszuschließen, als illegal erklärte.

Viele Franzosen, darunter auch Linke wie etwa Julia Kristeva, Autorin des Buches „Fremde sind wir uns selbst“, sehen in dem Kopftuch eine Bedrohung für die laizistische republikanische Schule. Im Ausland erregten solche Ansichten ausschließlich Kritik. Eine amerikanische Freundin meinte zu mir, der ganze Creil-Skandal sei ein klarer Fall xenophobischer Intoleranz und das Argument der Laizität nur das neue Gewand alter ausländerfeindlicher Gefühle; das wahre Objekt der Debatte sei frenchness.

Solche Stellungnahmen bedürfen historischer Erklärungen. Die Trennung von Staat und Kirche begann in Frankreich mit der Revolution von 1789. Ein staatlicher État-civil wurde damals eingerichtet. Dieser entzog die Führung der Geburts-, Ehe- und Todesregister dem Monopol der katholischen Kirche. Protestanten und Juden gewannen den Status gleichberechtigter Bürger. Die Religionszugehörigkeit der Bürger gilt seitdem als deren Privatsache, in die sich der Staat nicht einzumischen hat. (Freilich hat das Vichy-Regime diese Gleichgültigkeit des Staates gegenüber der Religion seiner Bürger nicht geteilt. Unter dem État Français wurde an der Herstellung eines fichier des juifs – eines jüdischen Registers – gearbeitet, dessen Gebrauch bekannt ist.)

Auch im Schulwesen hat die Revolution von 1789 das Prinzip einer religiös neutralen staatlichen Institution gefordert. Erst aber 1882, nach langer politischer Debatte, wurde das Prinzip einer kostenlosen, laizistischen und obligatorischen Schule durchgesetzt. Für die Gründer des modernen republikanischen Schulsystems hatte die Schulpflicht die religiöse Neutralität der staatlichen Institution als Voraussetzung. Die religiöse Erziehung blieb gänzlich den Familien und den Kirchen überlassen. In der Schulwoche wurde ein freier Tag eingerichtet (noch heute ist der Mittwoch schulfrei), damit jedem Kind der religiöse Unterricht seiner Wahl erteilt werden kann. Interessant ist, daß die Gründer der laizistischen Schule zum größten Teil protestantisch waren. Dies bedeutet im französischen Kontext, daß sie einer Minderheit angehörten, die bis zur Revolution marginalisiert wurde und unter Ludwig XIV. Opfer der grausamen Verfolgung des monarchistisch-katholischen Staates war. Für die Väter der republikanischen Schule war die Neutralität der staatlichen Institution synonym mit Gleichberechtigung und Integration. Nach heftigen Kämpfen im Parlament zwischen den katholischen Konservativen und den Radical-Socialistes wurde 1905 die Trennung von Staat und Kirche per Gesetz vollzogen. (Das gilt nicht für Elsaß-Lothringen, das zu jener Zeit deutsch war und wo zum Teil noch heute deutsches Recht in Kraft ist.)

Das Konzept des Laizismus prägt das ganze politische Leben. Der republikanische Staat hat eine eigene Symbolik entwickelt, die auf jede religiöse Anspielung verzichtet. Er hat seine Feiertage und seine im Panthéon ruhenden Helden (Rousseau, Victor Hugo und andere), die sich von den Festen und Heiligen Roms unterscheiden. Ein Politiker oder ein Beamter taucht nicht als Vertreter einer bestimmten religiösen Gemeinschaft auf. Auch gibt es in Frankreich keine Parteien, wie etwa die CDU in Deutschland oder die DC in Italien, die sich explizit auf eine Religion berufen. Der Präsident hält seine Fernsehansprache nicht zu Weihnachten, sondern zu Neujahr. Blasphemie ist im öffentlichen Recht nicht strafbar, eine Seltenheit auch unter den westlichen Ländern.

Für jene, die in einer politischen Kultur aufgewachsen sind, in der eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche existiert, sind Phänomene wie die „Rekatholifizierung“ von polnischen Schulen oder die religiösen Untertöne republikanischer Politiker in der letzten US-amerikanischen Wahlkampagne sehr beängstigend. Nicht weil Religionen kein Lebensrecht hätten, sondern weil die Identifikation der Staatsgewalt mit einer bestimmten Religion gegen das Recht anderer Menschen verstößt, von diesem Staat vertreten zu werden.

Aus dieser Perspektive bleibt es auch immer wieder überraschend – selbst wenn man den historischen Ursprung der deutschen Zustände kennt –, daß hierzulande Kirchensteuern automatisch mit der staatlichen Steuer abgezogen werden, daß die Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist, daß Religion ein ganz normales Schulfach ist und an staatlichen Universitäten Theologie (und nicht Religionswissenschaft) unterrichtet wird.

In Frankreich hat die Trennung von Staat und Kirche zu einem Konsens geführt: Der Staat ist neutral, und Religion ist Privatsache. Daraus folgt, daß, wenn der Staat sich nicht in die religiösen Ansichten seiner BürgerInnen einmischt, auch die religiösen Gemeinschaften die Neutralität des Staates und der ihm verbundenen Institutionen anerkennen sollen.

Das Konzept des Laizismus ist westlicher Herkunft und paradoxerweise sogar eine christliche Idee: „Gib dem Cäsar, was des Cäsars ist...“ Der Konsens um diese Einteilung der Einflußbereiche zwischen dem Staat und den Kirchen wird als die Bedingung für die Gleichberechtigung aller Religionen (bzw. nicht religiösen Attitüden) akzeptiert.

Nun erweckt der Islam bei vielen Franzosen die Angst, eine Religion zu sein, die diesen Konsens in Frage stellt, weil er den Anspruch habe, nicht nur das Geistliche, sondern auch das Säkulare regieren zu wollen. Im Islam seien Gesetz und Glaube untrennbar, was die Existenz islamischer Staaten beweise.

Daß der Islam per se eine fundamentalistische Religion sei, widerlegt nicht nur die Vielfalt seiner Strömungen, sondern auch die Haltung der Moslems in Frankreich. Zum großen Teil sind sie französische Staatsbürger und bekennen sich als Franzosen und Moslems. Ob das Kopftuch der Frauen und Mädchen nicht bloß ein Zeichen der Religionsangehörigkeit, sondern religiöser Bekehrungseifer sei, ist daher durchaus fraglich. Andere SchülerInnen tragen wohl ein Kreuz oder einen Davidstern um den Hals, ohne deshalb Gefahr zu laufen, von der Schule relegiert zu werden. Kleidungsstücke sind ebenso religiös, wie sie kulturell sind.

Natürlich ist das Problem eher politischer und sozialer als religiöser Natur. Natürlich würde die Öffentlichkeit zumindest mehr scheinheilige Toleranz für Religionen reicher Investoren aufbringen, sei sie auch noch so exotisch. Hatte meine Freundin also doch recht? Geht es beim Kopftuch eher um frenchness als um religiöse Neutralität?

Das Kind sollte nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Das Prinzip des Laizismus wird dadurch noch nicht verwerflich, daß es in der Kopftuchdiskussion mißbraucht wird. Ganz im Gegenteil: Es ist die Bedingung für eine wahre Gleichberechtigung aller Konfessionen. Fest steht aber ebenso, daß das laizistische Prinzip einer Verjüngungskur bedarf. Der Kontext ist einfach nicht mehr der des 19.Jahrhunderts, in dem er geprägt wurde.

Historisch wurde die Neutralität staatlicher Institutionen gegen die Macht der katholischen Kirche und ihre Ansprüche, das säkulare Leben des Landes mitzugestalten, durchgesetzt. Sie bleibt von diesem polemischen Ursprung geprägt und hat sich allzu oft mit der Position des Anti-Klerikalismus identifiziert. Die Laique wurde ganz klar als aufklärerisches Kampfmittel gegen die Pfaffenschule, als Schmiede der republikanischen Werte gegründet. Die Neutralität der staatlichen Institutionen darf weder als eine Tarnung xenophobischer Reflexe noch als Religionsersatz dienen, wie etwa der von den ehemaligen kommunistischen Regimen geforderte Atheismus.

Ein durchaus bedenkliches Ergebnis der Trennung zwischen Staat und Kirche ist die Tabuisierung religiöser Inhalte an den öffentlichen Schulen. In den ehemaligen klassischen Gymnasien wurden der griechische und lateinische Humanismus unterrichtet. Die Schule sah es aber nicht als ihre Aufgabe an, in der Bibel, sei es auch nur informationshalber, zu lesen. Es war die Aufgabe der zuständigen Religionen, ihre eigenen Texte und Kulturgüter außerhalb der Schule zu lehren und zu propagieren. In der heutigen Gesellschaft, in der religiöse Praxis drastisch zurückgegangen ist und der schulfreie Mittwoch eher profanen Aktivitäten gewidmet ist, wird der jüdisch-christliche Anteil der westlichen Kultur fast gar nicht mehr vermittelt. Nicht zu sprechen von Kenntnissen über andere Religionen. Als Lehrer sieht man sich oft SchülerInnen gegenüber, die unfähig sind, religiöse Anspielungen in literarischen Texten zu erkennen und die sich mitunter sogar weigern, darüber aufgeklärt zu werden; als sei das in der Schule unpassend. Diese religiöse Unwissenheit bewirkt nicht gerade Aufklärung. Diverse Umfragen zeigen, daß viele Lehrer Religionskunde in den Programmen der staatlichen Schule befürworten würden, zwar kein religionsspezifischer, sondern ein für alle Schüler gedachter Unterricht, der Kenntnisse über Texte und Liturgie vermittelt. Man ist sich darüber einig, daß dieser Unterricht nicht von Geistlichen (ob Pfarrer, Priester, Rabbiner oder Imam) erteilt werden sollte, wer ihn aber übernehmen sollte, ob der Literatur-, Geschichts- oder Philosophielehrer oder ein – noch auszubildender – Lehrer für Religionskunde, ist noch umstritten. Die Auflösung der großen Lehrergewerkschaft, der FEN (Fédération de L'Éducation Nationale), die in der Traditon aggressiven Laizismus' stand, sollte als Zeichen eines Mentalitätswandels wahrgenom

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men werden. Ebenso sollte die Entscheidung des Conseil d'État nicht, wie manche behaupten, als Konzession an islamische Integristen verstanden werden, sondern als Ermahnung, die laizistische Praxis neu zu durchdenken.

In der vergleichenden Europa- Diskussion sind bereits unzählige Aspekte der juristischen Organisation westeuropäischer Gesellschaften (Wahlrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht, soziale Absicherung, Abtreibung usw.) angesprochen worden, selten aber die Gesetze, die das Verhältnis von Staat und Kirche(n) regeln. Es kann nicht darum gehen, das französische Modell des Laizismus zu exportieren. An ihm könnte und sollte sich aber eine Diskussion über die notwendige Gleichzeitigkeit von Neutralität und Wissensvermittlung entfalten. In Zeiten, in denen sich fundamentalistische Reden breit machen und manche Staaten der Versuchung einer ethnischen oder theokratischen Identifikation nachgeben, ist eine Regelung des Verhältnisses von Staat und Religion Aufgabe des Rechtsstaates.

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