: Offener Brief an den Bundeskanzler der BRD, Herrn Helmut Kohl
an den Bundeskanzler der BRD, Herrn Helmut Kohl
Ich wohne in einer Wohngemeinschaft für psychisch Kranke. Eine Erklärung für Leute wie Sie, die viel reden und von nichts eine Ahnung haben: psychische Krankheit hat nichts mit Debilität zu tun!
Die meisten, die in solch einer WG leben müssen, sind in diese Situation gekommen, weil sie an der Gesellschaft, in der sie leben müssen, schwer erkrankt sind. Einer Gesellschaft, der Sie seit vielen Jahren als Bundeskanzler vorstehen (ich habe Ihre Partei nie gewählt!) und die Sie mit Ihren dummen und unqualifizierten Aussprüchen und mit Ihrer ebensolchen Politik in einem beträchtlichen Maße negativ und unlebenswert beeinflußt haben. Möge das Jahr 1993 das Jahr sein, in dem wir Sie mitsamt Ihrer CDU zum Teufel jagen.
Viele von uns haben durch ihre Krankheit ihre Arbeit ihre Wohnung und somit ihr soziales Umfeld verloren – ich auch –, und viele haben einen langen Leidensweg durch Kliniken und Therapien hinter sich.
Als ich noch arbeiten konnte, hatte ich jeden Monat 1.700 DM (Miete, Telefon, usw. sind in diesem Betrag schon nicht mehr enthalten) nur für mich zum Ausgeben. Ich weiß, für Sie ist das kein Geld. Soviel werden Sie alleine schon im Monat für Trinkgelder ausgeben; aber ich konnte ganz gut damit leben. Jetzt habe ich, als Sozialhilfebettler, 458,10 DM im Monat und muß damit mein Leben fristen.
Ihr total bescheuerter Ausspruch, daß die Sozialhilfe gekürzt werden müsse, weil Ihrer Meinung nach, Sozialhilfeempfänger fürs „Nichtstun“ ebensoviel bekämen, wie Menschen, die arbeiten müssen, zeigt nur, welch Geistes Kind Sie sind, und disqualifiziert Sie nicht nur als Kanzler, sondern auch als Mensch! Aber Ihre herausragende Unsensibilität ist ja bekannt. [...] Herr Kohl, Sie sollten sich in Grund und Boden schämen! Hanne Kümmerle, Berlin
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