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■ Auf-SchlagHund beißt Mann

Manchmal sind Kleinigkeiten sehr aufschlußreich. Eine australische Zeitung beklagte in einer Halbzeit-Kolumne der Australian Open 1993, daß einer wie Ivan Lendl nicht mehr dabei ist. Ivan Lendl, ausgerechnet der verbissene, nie geliebte Tennisarbeiter, der flairarme Perfektionist, er wird vermißt. Das ist, als käme Bonn nicht ohne Helmut Kohl aus.

Alle sind sich einig. Bislang läuft in Melbourne in erschreckender Weise alles nach Plan, und das ist bekanntlich alles andere als kurzweilig. Die großen Dramen fehlen. Die Favoriten setzen sich stetig durch (Beckers Blackout am ersten Tag war die große Ausnahme und ist längst archiviert), immer beißt Hund den Mann, nie umgekehrt. „Erwartungsgemäß“ ist das aktuelle Modewort der Berichte, dabei verlaufen die Favoritensiege stets nach dem gleichen Muster: unspektakulär und wenig mitreißend. Aufschlagstärke bestimmt immer mehr den Gang der Dinge, und die Fähigkeit, den anderen seine Stärken nicht ausspielen zu lassen und Fehler zu provozieren. Nicht brillante, kreative Schläge entscheiden, sondern Wucht und Berechnung, kühles Kalkül. Helfershelfer sind die viel zu schnellen Plätze und die Künste der Industrie beim Schläger-High- Tech.

Die Unzufriedenheit ist dem Publikum anzumerken. Jede kleinste Normabweichung wird beklatscht und belacht. Wenn ein Linienrichter zu spät und zu laut „Aus“ ruft, wenn ein Ball meterweit danebengeht oder im Netz steckenbleibt oder ein Ballkind fast getroffen wird. Dankbar werden die albernsten Faxen des Österreichers Antonitsch bejubelt, wie auch das weltschmerzgeplagte Jammern der Natalia Zwerewa, wenn sie einen Linienrichter, um Rat fragend, umarmt, oder wenn so unbekümmerte Youngster wie der Däne Carlsen oder der Kiewer Witzbold Medwedew wenigstens kleine Überraschungen bieten.

Tennis muß, um zu faszinieren, (auch) wie Theater sein. Melbourne 93 kennt bislang kaum Showbiz, wenig Spaß, keine schrägen Typen. Clowns wie Noah oder Connors sind nicht mehr dabei. Auch nicht die Branchenrüpel John McEnroe oder Pat Cash. Und ausgerechnet die Filzball-Paradiesvögel Agassi und Leconte fehlen verletzungsbedingt.

Ach, kann man die Leute reden hören, was waren das für Spiele, als sich die beiden Franzosen Guy Forget und eben jener Leconte im Vorjahr fünf Sätze lang in der ersten Runde beharkten und mit Standing ovations verabschiedet wurden. Oder als Leconte vor einigen Jahren einen Schmetterling vom Platz auflas, ihn auf seinen Schläger setzte und einer jungen Dame im Publikum mit allem Charme überreichte.

Heute: Dreifach-As Stich, Rückhandpeitsche Sampras, Vorhandkracher Courier, Advantage Graf, Matchpoint Seles. Game, set and match: Langeweile. Bernd Müllender

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