Über 200.000 Österreicher demonstrierten am Samstag abend in Wien gegen Fremdenhaß; mit dem „Lichtermeer“ wandten sie sich explizit gegen das heute beginnende Anti-Ausländer-Volksbegehren von FPÖ-Chef Jörg Haider Aus Wien Dorothea Hahn

Ein klares Bekenntnis – dank Haider

„Das Gute an Haider ist, daß man jetzt sagen kann, wogegen man ist.“ Dem 25jährigen Studenten steht die Freude ins Gesicht geschrieben. Mit einer Gruppe von Freunden erholt er sich auf einem Mäuerchen am Josefsplatz vor der Wiener Hofburg. Ihre Kerzenreste haben sie auf dem Asphalt aufgeschichtet und angezündet. Ihr Feuer ist eines von Tausenden, die an diesem Samstag abend die Nacht von Wien zum Flackern bringen. Jenseits der kerzenerleuchteten historischen Gemäuer, auf dem Heldenplatz, geht die Abschlußfeier des Wiener „Lichtermeeres“ weiter. Gerade spielt die österreichische Band „STS“ ein Mutmacher-Lied gegen den Fremdenhaß. Das Publikum summt mit.

„Es ist kalt heute abend, aber mir ist unglaublich warm ums Herz“, hat zuvor eine junge Türkin, die seit 20 Jahren in Österreich lebt, mit bebender Stimme ins Mikrofon gesagt. Vor neun Monaten ist sie auf einem Platz ganz in der Nähe von einem Österreicher blutiggeschlagen worden – weil sie schwarzhaarig ist. Keiner der „vielen Zuseher“ griff ein. Heute fleht sie ihr Publikum an: „Schaut nie wieder weg.“

Daß sie eingreifen wollen, wenn es gegen Ausländer geht, das haben sich die über 200.000 Menschen, die an diesem Samstag dem Aufruf von „SOS-Mitmensch“ gefolgt sind, fest vorgenommen. Schließlich haben sie deswegen von acht Plätzen aus das Wiener Zentrum in ein Lichtermeer verwandelt. „Ich hasse Ausländerhaß“, betont eine Lagerarbeiterin. „Wir wollen, daß die Ausländer, die bei uns sind, gerecht behandelt werden“, erklärt die Missionsschwester, die an der Spitze einer kleinen Gruppe von Nonnen mit Kerze über den Ring schreitet.

Gegen Fremdenhaß sind sie alle bei dieser größten Demonstration in der Geschichte der Zweiten Republik. Von den OrganisatorInnen – ein breites gesellschaftliches Spektrum, das von dem Zirkus- und Theatermann André Heller und vielen anderen Künstlern über die beiden Kirchen, die Caritas und die sozialdemokratische Regierungspartei SPÖ bis hin zu den Grün-Alternativen reicht – bis hin zu denjenigen Teilnehmern, die vor allem wegen der Musik gekommen sind. Das Anti-Ausländer- Volksbegehren von Jörg Haider hat sie zusammengebracht. Deswegen konnte Heller sein „SOS- Mitmensch“ trotz aller Differenzen zusammenzimmern. Doch mitten im Lichtermeer ist das Engagement ganz unterschiedlich. Manche wollen allen Ernstes noch nie von dem Volksbegehren gehört haben. „Ich verstehe nichts von Politik“, meint ein Elektriker. „Ja, darüber haben wir in der Schule gesprochen. Aber ich weiß nicht so richtig“, sagt eine 13jährige. „Bei uns im Betrieb gibt es Leute, die gerne unterschreiben würden, sich aber nicht trauen. Die glauben, daß die Polizei dann ihre Namen bekommt“, berichtet eine Verkäuferin.

Das Harmoniebedürfnis ist groß an diesem Abend. Die österreichische Gesellschaft ist „dank Haider“ ohnehin polarisiert wie lange nicht mehr. Da will niemand zusätzliche Gräben aufreißen. Zu dem „Volksbegehren des Herrn Haider“ werden die Demonstranten nicht gehen. „Das verbietet mir schon das Gebot der Nächstenliebe“, sagt ein christlicher Korpsstudent. Der Haider „will der zweite Hitler werden und die Demokratie aufheben“, erklärt eine 80jährige Wienerin, die als ehemalige Insassin des KZ Ravensbrück weiß, wovon sie spricht. Aber deswegen will sie noch lange nicht das Volksbegehren verbieten: „Das geht nicht, wir haben doch eine Demokratie.“ Als ein aufgebrachter FPÖ-Anhänger schimpft, das Lichtermeer würde „eine bedeutende Minderheit der Österreicher ausschließen“ – womit er die 20 Prozent FPÖ-Wähler meint –, wird er sogleich von Umstehenden beruhigt: „Machen Sie doch mit.“

Ein wenig schärfer waren die Töne am Nachmittag, als die „Plattform gegen Fremdenhaß“ vor Beginn des „Lichtermeeres“ ihre eigene kleine Protestveranstaltung vor dem Bundeskanzleramt abhielt. Die österreichischen Kommunisten, ein Teil der Grünen und Ausländergruppen machten explizit die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Konservativen verantwortlich für das „politische Ambiente, in dem so ein Volksbegehren überhaupt zustande kommen kann“. Erst die im vergangenen Jahr verabschiedeten restriktiven Fremden- und Asylgesetze hätten das Terrain für Haider geschaffen, hieß es auf ihren Transparenten. Neben Haider stellen sie den sozialdemokratischen Innenminister Franz Löschnak an den Pranger, der gerade das Asylbegehren eines bosnischen Muslimanen und Deserteurs binnen 24 Stunden abgelehnt hat. Die serbischen Behörden hätten dem Mann doch gerade mit der Rekrutierung bewiesen, daß sie ihn als vollwertigen Bürger erachteten, lautete die lapidare Ablehnungsbegründung für den inzwischen abgetauchten Flüchtling. Wenige Stunden später stand auch Löschnak mit einer Kerze mitten im Lichtermeer.

Wie es nach dem großen Tag gegen den Fremdenhaß in Wien weitergehen soll, weiß so recht niemand. „SOS-Mitmensch“ hat sich ausdrücklich für Aktionen gegen das Volksbegehren konstituiert. Ob der Innenminster und die Flüchtlingshelfer von der Caritas auch weiter zusammenarbeiten können, muß sich erst noch zeigen.

Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen hat hingegen der Großgrundbesitzer aus dem Bärental bewiesen. Haider, dessen Erfolgskurve seit Jahren trotz aller gegenteiligen Prognosen nicht abreißt, könnte eines Tages sogar Kanzler werden. Den Willen dazu hat er auf jeden Fall, glauben die Menschen in Wien. Und die richtigen Themen findet er auch immer – egal ob er gegen „Vetternwirtschft“, „Ausländer“ oder „Privilegien“ zu Felde zieht. Schließlich hält er sich auch körperlich fit, was in Österreich gut ankommt. „Wenn der weiter so joggt und klettert, dann schafft er das“, sagt der Student am Josefsplatz. „Spätestens dann müßte man aus Scham seine Staatsangehörigkeit abgeben“, fügt er rasch noch hinzu.