: "Die CD muß 50 Mark kosten"
■ Branche spielt Russisch Roulette: Höhere CD-Preise Ende 1993
„Die CD muß 50 Mark kosten“
Branche spielt Russisch Roulette: Höhere CD-Preise Ende 1993
Die Branche spielt Russisch Roulette, und Musikfans reiben sich verwundert die Augen. Da bietet ein Medienmarkt oder eine Kaufhauskette in mehrseitigen Anzeigen Compact Discs (CD) zu geradezu phantastischen Preisen an. Keinesfalls werden bei den Lockangeboten nur Ladenhüter oder nostalgische Schnulzen feilgeboten. Oft zieren aktuelle Hitparadenstürmer die Anzeigen. Die Vertreiber der silberfarbenen Scheiben dagegen wollen Preiserhöhungen durchsetzen, auch wenn sie sich davon keine Absatzbelebung versprechen.
„Die CD muß 50 DM kosten“, mit dieser Forderung provozierte der Geschäftsführer der BMG Ariola GmbH in München, Thomas M. Stein, eine Preis-Diskussion. Das zur Bertelsmann- Gruppe gehörende Unternehmen ist nach eigenen Angaben mit rund 33 Prozent Deutschlands Marktführer bei Tonträgern. Bis Ende 1993 werden die Preise auf 40 DM hochgehen, kündigte eine Sprecherin von Ariola an. Den Auswirkungen auf junge Künstler und die meist jugendlichen Käufer der Scheiben werde mit einen neuen Konzept begegnet: CDs von unbekannten Künstlern sollen künftig mit sechs bis acht Titeln und damit entsprechend billiger angeboten werden. Den Platz der Vinyl-Single soll eine CD mit nur zwei Musikstücken einnehmen.
„Die Kaufhausketten kalkulieren ihre Preisknüller bei den CDs bewußt als kaufmännische Flops ein und hoffen, daß die angelockten Kunden gleich noch ein Stück von der sogenannten braunen Ware — etwa Videorecorder, Platten- und CD-Spieler — mitnehmen“, sagt ein Sprecher des Bundesverbandes der phonographischen Wirtschaft. Den Verlust von drei unter den Einstandskosten verkauften CDs fange der Gewinn eines verkauften Videorecorders allemal wieder auf.
Die Hersteller der Scheiben sehen die Rationalisierungsreserven im Fertigungsbereich erreicht. Neben gestiegenen Produktionskosten durch die Umstellung von Analog- auf Digitaltechnik führen sie erhöhte Lizenzgebühren für Künstler, Komponisten und Textdichter ins Feld. „Strukturelle Veränderungen in der Medienlandschaft führten zu steigenden Werbe- und Promotionkosten“, sagt Stein. Heute müßten in der Bundesrepublik 270 private und öffentlich-rechtliche Sender versorgt werden, 1984 seien es noch 40 Anstalten gewesen.
Mit Preisen von knapp 30 DM für eine CD ist die Bundesrepublik den Angaben zufolge der billigste Markt in Europa. „Während Konzertkarten in den 70er Jahren etwa gleich viel kosteten wie Tonträger, sind 50 DM für eine Karte heute selbstverständlich“, moniert Stein. Massiv kritisiert die Branche auch unterschiedliche Steuersätze: Während Mozarts „Zauberflöte“ auf einem Tonträger mit einem Mehrwertsteursatz von 15 Prozent belegt wird, sind es bei der Notenausgabe der „Zauberflöte“ gerade sieben Prozent, weil sie Büchern zugerechnet wird.
Der Absatz von CDs hat im neunten Jahr seit ihrer Markteinführung die 120-Millionen- Grenze 1992 überschritten und liegt damit um 34 Prozent über dem Vorjahresergebnis. „Dabei existiert der Tonträgermarkt auf einer besorgniserregend schmalen Basis“, meint Stein. Jeder zweite Bundesbürger kauft keine Tonträger, intensiv kaufen gerade zehn Prozent, gelegentlich rund 40 Prozent der Bevölkerung.
Petra Häussermann / dpa
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