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Justiz am Gängelband der Polizei

■ Kritik von Staatsanwälten: Liberalismus ade - Rechtspraxis in Bremen wird umgekehrt

Als fortschrittlich wollte Justizsenator Henning Scherf mit der Diskussion „Justiz 2000“ gestern offensichtlich sein Ressort vorführen: Er hatte die Bremer Justiz zu einer Debatte zur Entkriminalisierung des Drogenkonsums eingeladen. Doch als Staatsanwälte und Richter sich zu Wort meldeten, entstand ein ganz anderer Eindruck. Tenor der Wortmeldungen: Die Justiz in Bremen werde für politische Zwecke mißbraucht.

„Wir dürfen Ermittlungen in bestimmten Bagatellbereichen nicht mehr einstellen“, berichtete Staatsanwalt Christian Zorn von einer entsprechenden Anweisung. Was die Polizei nicht mehr bewältigen könne, um für „Sicherheit und Ordnung“ zu sorgen, werde auf die Justiz verlagert.

„Völlig neu“ war diese Praxis dem ehemaligen SPD-Landesvorsitzenden und Juristen Horst Isola, in der Justizdeputation sei darüber noch nicht gesprochen worden. „Erschüttert“ hatte diese Aussage auch Elke Steinhöfel, drogenpolitische Sprecherin der SPD. Sie zeigte sich ebenfalls befremdet darüber, daß die Justizdeputation von dieser neuen Praxis noch nichts erfahren habe. „Der Bürger hat einen Anspruch auf die Verläßlichkeit der Justiz. Dies wird von einer derart schnellen Verhaltensänderung in Frage gestellt“, erklärte sie angesichts der neuen Kriminalisierung des Drogenkonsums. Und der Bielefelder Strafrechtsprofessor Otto Backes, als Referent zur Diskussion geladen, kritisierte, daß die Justiz, die in Bremen gerade im Bereich Drogenkriminalität bisher immer liberal war, nun an die „Leine der Polizei“ genommen werde. Er mahnte: „Wir haben anderes zu bedenken, als das, was die Polizei an Material liefert.“

So doll sei das nun auch wieder nicht, wiegelte Jan Frischmuth, Leitender Oberstaatsanwalt, ab. Von insgesamt 105 Verfahren gegen Junkies, die seit November registriert wurden, hätte lediglich ein Drittel auch zu einem Strafbefehl geführt. Der Rest wurde eingestellt.

Was Frischmuth am Nachmittag vor Kollegen als „keineswegs dramatische Größe“ herunterspielte, war indes am Vormittag noch Anlaß zur Hoffnung auf Generalprävention: Da hatte der Oberstaatsanwalt die Zahlen zusammen mit Generalstaatsanwalt Hans Janknecht der Landespressekonferenz präsentiert. „Wir alle haben nicht mehr daran geglaubt, daß Generalprävention besteht“, hatte Janknecht die „überraschende Feststellung“ kommentiert, daß nach dem Senatsbeschluß von Oktober Verfolgungs- und Fahndungsdruck „Wirkung zeitigt.“ Jan Frischmuth wollte allerdings nicht „vorzeitig“ von Erfolgen sprechen: Er weigere sich, die relativ frühe Entkriminalisierung in der Bremer Strafverfolgung als „falsch“ anzusehen und nun eine „andere Kriminalitätspolitik“ zu vertreten. Zur „ominösen Verfügung“ erklärte er: „Als der Senat sich die Bekämpfung der offenen Drogenszene auf die Fahne schrieb, konnten wir die Polizei nicht im Regen stehen lassen.“ Birgitt Rambalski

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