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Schelte von ganz oben

■ Kritik am Verfassungsgericht wurde von Justizverwaltung mitformuliert / Limbach: Habe keinen Einfluß genommen

Berlin. Die Auseinandersetzung über die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts zum Fall Honecker treibt immer neue Blüten. Gestern verwahrte sich die ins Kreuzfeuer der Kritik geratene Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) gegen die Darstellung des Tagesspiegel, sie habe die Erklärung des Generalstaatsanwalts beim Kammergericht, Dieter Neumann, im Fall Honecker beeinflußt. Neumann hatte in einer Presseerklärung die Begründung der Verfassungsrichter als „geradezu absurd“ bezeichnet, die mit Honecker befaßte Staatsanwaltschaft und die 27. Strafkammer des Landgerichts hätten das Grundrecht der Menschenwürde nicht beachtet.

Der Tagesspiegel hatte gestern berichtet, daß die Justizsenatorin am vergangenen Montag mit den Generalstaatsanwälten und Gerichtspräsidenten die Frage erörterte, ob und wie die Gerichte auf die Verfassungsgerichtsentscheidung reagieren sollten. „Im Raum gestanden habe sogar die Idee, daß sich die Gerichtspräsidenten hierzu kritisch äußern sollten“, heißt es in dem Bericht. „Doch alle Richter hätten dies zurückgewiesen.“ Lediglich Generalstaatsanwalt Neumann habe sich einen Tag später mit einer Presseerklärung mit einer „massiven Richterschelte“ zu Wort gemeldet, die aber offenbar in wesentlichen Teilen in der Justizvverwaltung formuliert worden sei – „abgesegnet durch die Senatorin“.

Jene erklärte dazu gestern, sie habe mit den Juristen über die Auswirkungen der Entscheidung des Verfassungsgerichshofes auf die Durchführung von Verfahren in allen Gerichtszweigen gesprochen. Sie habe aber zu keinem Zeitpunkt die Präsidenten oder Generalstaatsanwälte aufgefordert, sich zu der Entscheidung kritisch zu äußern. Neumann hätte schon vor der Zusammenkunft die Absicht bekundet, eine Erklärung abzugeben, und diese zu dem Treffen bereits mitgebracht. „Richtig“ sei aber, daß die Justizverwaltung „anschließend Formulierunghilfen geleistet“ und sie selbst die Erklärung vor der Veröffentlichung gesehen habe, erklärte Limbach.

Der Generalstaatsanwalt Neumann betonte gestern, die Senatorin hätte ihn „überhaupt nicht beeinflußt“. Wenn in seiner Erklärung gravierende Änderungen vorgenommen worden wären, so Neumann, „hätte ich diese nicht mehr herausgeben“. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Klaus Finkelnburg (CDU), erklärte zu dem Fall, es sei nicht seine Aufgabe, das „Fehlverhalten“ der Senatorin zu kommentieren. Die Abgeordnete von Bündnis 90/ Grüne, Renate Künast, befand, Limbach habe „die Grenzen des verfassungsmäßig Zumutbaren weit überschritten“. plu

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