■ Dokumentation: Die Welt zum Beginn der Ära Clinton: Neue Schläuche, neuer Wein
Die Clinton-Präsidentschaft beginnt, doch die „ethnischen Säuberungen“ der Serben gegen bosnische Muslime gehen weiter; Palästinsenser werden aus Israel deportiert und fristen in Zelten im Niemandsland ihr Dasein; Kambodschaner fallen erneut dem Horror der Roten Khmer zum Opfer. All dies geschieht unter Mißachtung der Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats. Und doch wurde keine militärische Gewalt eingesetzt, um diesem menschlichen Leiden ein Ende zu setzen. In scharfem Kontrast zu dieser internationalen Untätigkeit stehen die militärischen Schläge gegen den Irak, die schon in den letzten Bush-Tagen einsetzten. Als Begründung gilt die Verletzung von UNO- Resolutionen. Aber für die meisten Menschen weltweit ist dies ein Mißbrauch von Macht, eine vergebliche bombastische Vorführung militärischer Allmacht gegen einen nahezu wehrlosen Widersacher.
Die Tatsache, daß Saddam Hussein unentschuldbare Verbrechen gegen Iraks ethnische und religiöse Minderheiten begangen hat, kann nicht als Rechtfertigung für selektive militärische Einsätze gegen ihn genommen werden – während größere Unmenschlichkeiten zwar verbal verurteilt, aber jenseits militärischer Gegenschläge erlaubt werden. Dies gilt trotz der Tatsache, daß Saddam weiter Ansprüche auf Kuwait erhebt (das gleiche tut Argentinien im Falle der Falklands). Und obwohl Saddam großmäulig und abschätzig über die UNO, die USA und den Westen redet.
Wie kann man diesen Overkill gegen den Irak erlauben? Zu Zeiten des Kalten Krieges war der gegenseitige Hang der Supermächte zu Exzessen durch die Angst voreinander gehemmt. Heute gibt es solch ein Gleichgewicht. Doch der Gebrauch militärischer Gewalt ohne moralische Autorität heißt nicht Führungskraft, sondern Autoritarismus. Am Ende wird die Bedeutung von Frieden, Gerechtigkeit, Demokratie und Wahrheit verzerrt. Die jüngste Offensive in Irak diente nur politischen Heimvorteilen. Eine alleinige Supermacht, die ihr Militär je nach politischem Geschmack über die Welt verteilt, hat nichts mit einer Weltordnung im Sinne der UNO-Charta zu tun.
Präsident Clinton wurde ein vergifteter Kelch überreicht. Er darf nicht daraus trinken. Eine „neue Weltordnung“ kann nicht durch die Fortsetzung des business as usual erwachsen. Wir brauchen nicht nur neue Schläuche, sondern auch neuen Wein. Shridath Ramphal
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