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UNO droht Israel

■ Unmittelbar vor der Entscheidung des Obersten Gerichts verlangt Butros Ghali die Rückkehr der Deportierten

Tel Aviv (taz) – Unmittelbar vor der Entscheidung des israelischen Obersten Gerichts über die deportierten Palästinenser hat UN-Generalsekretär Butros Ghali erneut Bewegung in den Konflikt gebracht. In seinem Bericht an den Sicherheitsrat stellt er fest, daß Israel weiterhin die vierte Genfer Konvention verletzt und die Rücknahme der Deportierten ablehnt, zu der die Regierung vom Sicherheitsrat in Resolution 799 aufgefordert wurde. Butros Ghali betont, daß der Sicherheitsrat mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auf der Durchführung der Resolution 799 bestehen wird. Er schlägt vor, in Konsultation mit Israel und im Zusammenhang mit Resolution 681, die 1990 nach dem Tempelbergmassaker verabschiedet wurde, einen besonderen UNO-Überwachungs- und Kontrollmechanismus für die besetzten Gebiete einzurichten.

Ministerpräsident Rabin und Außenminister Peres äußerten sich gestern empört über den ungwöhnlich harten und „voreiligen“ Bericht und die Empfehlungen des UNO-Generalsekretärs. Dieser hätte die Entscheidung des Obersten Gerichts abwarten müssen. Indem sie den Spieß umdrehen, beschuldigen die israelischen Regierungsführer jetzt die UNO, nach „doppelten Standards“ zu urteilen, weil sie den „Gefahrenfaktor“ der islamisch-palästinensischen Bewegung „Hamas“ und die daraus resultierende Bedrohung der Nahostverhandlungen angeblich ignorieren. Gerade um den Friedensprozeß zu fördern, hätte Israel den Deportationsbeschluß gefaßt – ein Umstand, der von der Außenwelt in der Tat nicht gewürdigt wird. Rabin und Peres vertraten die Meinung, Butros Ghalis Empfehlungen spornten die arabische Seite zu einer noch härteren Gangart gegenüber Israel an. Damit werde auch wieder nur der Friedensprozeß geschädigt. Ministerpräsident Rabin führt schließlich an, daß es ganz außergewöhnlich und ohne Präzedenzfall sei, daß der UN-Generalsekretär vom Sicherheitsrat Interventionsmaßnahmen gegen Israel verlangt.

Jedenfalls wird Israel jetzt mit höchster Dringlichkeit in Washington und bei anderen Mitgliedern des Sicherheitsrats vorstellig, um vor einer Annahme der Vorschläge Butros Ghalis zu warnen, noch bevor der Sicherheitsrat – wahrscheinlich am Mittwoch – zusammentritt. Die Regierung versucht, die amerikanische Regierung dazu zu bringen, die Sicherheitsratssitzung zu verschieben – zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils des Obersten Gerichts.

Rechtsanwälte, die Kenner der Lage sind, halten es für durchaus möglich, daß das Oberste Gericht den prinzipiellen völkerrechtlichen Einwand gegen die Deportationen zwar zurückweisen wird, daß er jedoch das Recht von Deportationskandidaten, vor ihrer Vertreibung Berufung einzulegen, anerkennt. Die staatlichen Behörden könnten die deportierten dann auf Grund der Stellungnahme des Obersten Gerichts vorübergehend in ein von israelischem Militär kontrolliertes Gebiet wiederaufnehmen und dort inhaftieren. Die Betroffenen würden dann dort die diversen Berufungsverfahren gegen die Deportationsbeschlüsse führen müssen. Ein derartiger Kompromiß würde der Regierung helfen, ihren Deportationsbeschluß auch weiterhin aufrechtzuhalten, während die Deportierten – auf Grund einer solchen höchstrichterlichen Entscheidung – wenigstens vorübergehend in ein von Israel verwaltetes Interniertenlager kommen. Das bringt sie aus dem in den letzten Wochen vielgefilmten libanesischen „Niemandsland“ weg, und das Problem könnte damit wohl auch von der Tagesordnung der Vereinten Nationen verschwinden. Von der Deportation bliebe dann physisch-sichtbar wenig übrig, und die Deportierten selbst wären vor eine schwere Wahl gestellt. Ein solcher oder ähnlicher Kompromiß wäre für die israelische Regierung eine willkommene Möglichkeit, sich der Probleme, die durch die Blitzdeportation entstanden sind, zu entledigen. Amos Wollin

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