: Buddha aus der Käseabteilung
■ Klaus Lemkes neuer Film "Die Ratte": "Sex ist die Antwort - aber was ist die Frage?"
: „Sex ist die Antwort - aber was ist die Frage?“
„Sex ist immer falsch. Sex tut weh. Wenn's nicht weh tun würde, würde man's nicht merken!“ Daß Sven weiß, wovon er spricht, kann man sehen. Seine Nummer mit der Luxuslady im Luxushotel, zu gnadenlosem Rap, Hamburgbilder im Gegenschnitt, führt ihn ein als „finsteren Ficker“ vom Kiez. Sven (Thomas Kretschmann) ist Die Ratte, mit strähnigem Haar, Macho- Bart und cooler Sonnenbrille. Man weiß, er wird die Diamanten-Rolex der Lady zu Geld machen, skrupellos, für seinen Traumporsche.
Zu Sex gehört Crime und Action. Auch im deutschen Film. Doch wunderbarerweise schlägt dieser hier, alle Klischees schon im Blick, einen Haken - und entkommt. Denn der eigentliche Held der Geschichte heißt nicht Sven sondern Ricki. Ricki ist 15 Jahre alt, arbeitet als Käseverkäufer im Supermarkt und bewundert seinen großen Bruder. Apathisch sieht er zu, wie der ihm sein Erspartes klaut, um sich dann mit einem wildentschlossenen „Ich will mit“ an seine Fersen zu heften. Was ihm, auch mit brutalsten Mitteln, nicht gelingt. Also spannt er Ricki ein, benutzt ihn bei seinen Deals und schubst ihn unsanft ins kalte Wasser des Männerlebens.
Doch je härter die Lektionen, desto weicher fängt Ricki sie auf. Dieser Junge (Marco Heinz) spielt sogar einen Ernie Reinhard an die Wand. Er spielt niemand anderen als sich selbst. Seine naive Neugier macht ihn unverletzbar. Schüchtern-trotzig beobachtet er genau und kann, von einer Sekunde auf die andere, mit seinem offenen Lächeln alles und jeden entwaffnen. Wie er an diesem einen Tag sein großes Vorbild als Looser enlarvt und ihm das Heft aus der Hand nimmt, um am Ende, ein zufriedener kleiner Buddha, in seinen Supermarkt zurückzukehren, das ist so faszinierend, daß man dem Film all seine Längen verzeiht, sein bisweilen arg aufgesetztes „Straßendeutsch“, sein Pathos. Seine verblüffende, ansteckende Energie ist Marcos Energie, ist Herzenergie. Die auf die Leinwand zu bringen und mit ihr, provozierend und verstörend, das wirkliche Leben ins Kino, ist die eigentliche Leistung des Regisseurs Klaus Lemke. Klar, die Nutten sind viel schöner als in Wirklichkeit. Die Köhlbrandbrücke aus der Luft kriegt San Francisco- Format. Hamburg sieht, ob von weit oben oder unten nah, so aus, wie man's noch nie gesehen hat. Aber mit diesem kleinen Kunststück verpaßt Klaus Lemke seiner Geschichte genau den richtigen Rahmen. Nicht ums Abbilden noch ums Nachbilden geht's, sondern allein um die richtige Einstellung. Lemkes Zielpublikum sind Jugendliche. Aber auch für Greise über 30 ist die Ratte als Verjüngungskur durchaus zu empfehlen.(Aladin)Suzanne Greuner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen