: »Wir treffen uns beim Joggen«
In acht Tagen soll der Politikstudent Seth Quartey Deutschland verlassen / ■ Abschiebung
Als Seth Quartey vor zwei Jahren zu Besuch in Ghana war, machte er ein Nickerchen am Strand. Als er aufwachte, sah er sich nur von sonnenhungrigen Europäern umgeben. „Ich wußte gar nicht mehr, wo ich bin“. Europäer reisen und studieren im Ausland, wie sie lustig sind. Umgekehrt ist es komplizierter.
Seth Quartey wollte sich in seinem Heimatland schon mal orientieren, bevor er nach Abschluß seines Studiums endgültig zurückkehrt, um sich für einen Job beim Auswärtigen Amt zu bewerben. Eine Aussage, der man im Petitionsausschuß nicht glaubte, als man vorigen Montag die Abschiebung beschloß. Wegen der Gefahr der „Verfestigung seines Aufenthaltes“. Wäre die Sache anders ausgegangen, wenn bekannt gewesen wäre, daß sein Vater als Diplomat in Deutschland gearbeitet hat? Seth selbst fand es unwichtig. Nur zufällig finden wir beim Kramen in der Fotokiste die Bilder: Seths Papa in seinem Botsachaftsbüro, Seths Papa vor dem Brandenburger Tor...
„Mein Vater war eine witzige Type“, erinnert sich Seth. Wenn er Zeit hatte, nahm er seine zehn Kinder, packte sie in seinen Wagen und sauste über die holprigen Landstraßen. Joseph Quartey, der noch unter den britischen Kolonialherren die Schulbank drückte, bläute seinen Kindern ein, wie wichtig eine gute Ausbildung ist. Nachdem der Vater starb, stand Seth ziemlich allein da. Er machte sich auf nach Deutschland. Er besaß nicht die nötigen Papiere, um direkt an die Universität zu gehen. In der Studienberatung riet man ihm zum Umweg über die Hochschule für Wirtschaft und Politik.
Wir sitzen in der kleinen Niendorfer Wohnung. Das Telefon läutet unentwegt. Freunde, Verwandte und Kommilitonen rufen an, wollen wissen, was passiert ist. „Ich soll das Land verlassen. Die haben mir irgendwelche Vorwürfe gemacht, daß ich hierbleiben möchte. Aber das ist nie mein Ding gewesen“, erklärt er dem Anrufer.
Für die nächsten Tage ist Seth total ausgebucht. Alle wollen ihn nochmal sehen. Auf dem Campus mußte er die Leute trösten, nicht sie ihn. Eine Freundin fiel ihm weinend um den Hals, als sie in der Zeitung las, das Seth jetzt weg soll. Irgendwann werde man sich bestimmt mal wieder sehen, „stell Dir vor, wir treffen uns beim Joggen in Helsinki“. Deutschland ist nicht das Zentrum der Welt.
Abschiebung beschlossen. Wie wird man damit fertig? Auf dem Schreibtisch liegen Medikamente, Nasentropfen, Tabletten. Seth leidet an psychosomatischen Erkrankungen. Regelmäßig die Auseinandersetzungen auf dem Ausländeramt, sagt er, hätten ihn mürbe gemacht. „Ein Herr Meyer“, erinnert sich Seth. „Der wollte immer, daß ich unterschreibe, daß ich nach der HWP verschwinde“. Pro forma, habe der gesagt, daß mit dem anschließenden Uni-Studium ließe sich dann schon irgendwie regeln. Es ließ sich nicht regeln. Das neue Ausländergesetz wird auf Seth angewandt, obwohl er sein Studium schon vorher begonnen hatte.
In der Küche hängt ein Zeitungsausschnitt hinter Glas. Seth, „die schwarze Perle aus Ghana“ hat für den Niendorfer-SV viele Tore geschossen. Darüber Modefotos.
1Seth hat auch als Modell gejobbt, sein ganzes Studium selbst finanziert. Jetzt hat er keinen Pfennig mehr. Muß Computer, Fernseher und was er sonst noch so hat, verkaufen, um den Flug nach Ghana zu finanzieren. Das Ticket soll er bis zum 3.Februar bei der Ausländerbehörde vorlegen, den Stempel „ausgewiesen“ bekommt er trotzdem in den Paß.
„Die behandeln mich wie einen Kriminellen. Dabei habe ich nichts gemacht“, sagt Seth immer wieder. Die SPD-Abgeordnete, die in der Mopo gesagt hat, er solle zusehen, daß er nicht ins Rentenalter kommt, die möchte er gern mal kennenlernen. „Das soll die mir mal nachmachen. In einem Industrieland, dessen Sprache man nicht spricht, ohne einen Pfennig Geld in der Tasche zu studieren“. Seth ist 36. Bevor er die deutsche Sprache beherschte und die Aufnahmeprüfung an der HWP bestand, dauerte es ein paar Jahre. Danach, sagt Seth, habe er ohne Pause studiert. Ein Schein noch im nächsten Semester und die Examens-Prüfung wäre fertig. Kaija Kutter
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