■ Kopfbedeckungen als Selbstbehauptung in der Umwelt: Schirm oder Zipfel?
Berlin (taz) – Eine Kappe gehört heute zur Grundausstattung des modernen jungen Menschen. Die Kopfbedeckungen mit den bunten Emblemen zumeist US- amerikanischer Sport-Teams oder bekannter Musikbands zieren die Schädel bewegter Teens und Twens. Dabei sind die schwarzen Deckel des Footballclubs Los Angeles Raiders hierzulande der Renner.
Die turmhohen Gewinne der Merchandise-Abteilung verstellen jedoch den Blick des einäugigen Raiders-Piraten auf die sportliche Erfolglosigkeit des Vereins. Da können selbst die Kollegen der San Francisco 49ers mit Superstar Joe Montana nur staunen, und auch die Chicago Bulls, das stärkste Basketball-Team, haben das Kappen-Nachsehen.
Kaum eine sportliche oder musikalische Großveranstaltung verzichtet heute noch auf die Möglichkeit, Lebensgefühl in Form von Kappen zu verkaufen. Doch warum tragen Sport-, Metal- und Hardcore-Freaks, HipHop-Kids und all die anderen die One-size- fits-all-Soff-Helme? Weil sie praktisch sind? Doch wer kleidet sich schon nach praktischen Gesichtspunkten? Das haben immer nur Außenseiter empfohlen. Bekannt ist das schon aus dem 9.Jahrhundert. Notker der Stammler, gelehrter Mönch in St. Gallen, vertrat die Maxime, Kleidung solle der Selbstbehauptung in der Umwelt dienen. Anlaß hierfür bot ihm die Aufmachung einer Gesandtschaft am Hofe Karls des Großen. Diese erwies sich, geschmückt mit phönizischen Vogelbälgen und Pfauenhälsen, als gänzlich ungeeignet für die Jagd im Dornengebüsch. Die Erfordernisse der Jagd sind jedoch heutzutage außerhalb limitierter Gesellschaften genausowenig stilprägend wie früher. Außerdem gerät auch die vorgeschobene Sonnenschutzfunktion einer Football- Kappe spätestens durch das seit- oder rückwärtige Aufsetzen zur Farce.
In Wirklichkeit geht es natürlich um die rechte attitude. Kappen grenzen ab von allen, die keine tragen. Und das sind die, die kein bißchen lässig sind. Zur Ausgrenzung von Spießern, die sich als lässig verkleiden, ist das natürlich ein bißchen wenig. Daher kommt es zu neuen Trends, die optisch immer extremer ausfallen. Die Grenzen der Gruppenbildung werden enger gezogen, nicht jeder traut sich, das noch aufzusetzen.
Ein Musterbeispiel hierfür sind die neuesten Entwicklungen im Bereich der Wollmütze. Die Anpassung an die exakte Form des Hauptes war zunächst das Maß der Dinge. Danach kam eine Zwischenphase der Halbsteifen – je nach Geschmack mit oder ohne Bommel. Erst in HipHop-Kreisen entstand dann die bahnbrechende Idee: ein fingerdicker Zipfel, der sich von der Mützenspitze in neckischem Winkel wieder dem Boden zuwendet. Die Länge dieses Zipfels kann zwischen der einer heimischen Hülsenfrucht und Standard-Leggings liegen. Seine Zerbrechlichkeit scheint den Träumen eines Zuckerbäckers zu entspringen. Das wagt wirklich kaum noch einer zu tragen.
Bedauerlich an der neuen Zipfelmütze ist das Abknicken in halber Höhe. Ansonsten könnte man sich mit der skurrilen Hutmode des 15. Jahrhunderts messen. Die spitze Kopfbedeckung der burgundischen Hofdamen griff mutig in die nächste Etage aus und bleibt bis heute unerreicht. Der Zipfel wird jedoch wie der Sitzhut den Weg aller Esoterika gehen: Für kurze Zeit wird er in kleinen Zirkeln Erfolg haben und danach vergessen werden. Der Spitzhut allerdings wurde von einem Phänomen begleitet, das bis heute nichts von seiner Wirkmäßigkeit eingebüßt hat: dem Décolleté.
Den Besitzern von Football-, Baseball-, Basketball- und anderen Kappen bleibt dann auch ein Trost: Sie werden den Zipfel überdauern. Sie werden den Weisen angehören, die sich mit ihrer Kleidung so schmücken, daß sie dem Saturierten nicht überkandidelt und dem Avantgardisten nicht hinterwäldlerisch erscheinen. Für Zipfel ist das natürlich kein Ziel. Ulrich Hinz
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