: "Eine Spur der Erinnerung"
■ Zum Jahrestag der Machtübernahme durch die Nazis wird am 30. Januar in Berlin eine Lichtspur zur Erinnerung an die Brandspur der Faschisten inszeniert
Berlin (taz) – So ästhetisch, so inszeniert wie in diesem Jahr ist der Jahrestag der nationalsozialistischen Machtübergabe noch nie geplant worden. Mit Lichterketten zum Beispiel in Essen, Stuttgart, Erfurt, Rostock, Kassel und in Berlin soll am Abend des 30.Januar an den Beginn des Führerstaates und an die von den Nazis gelegte Brandspur erinnert werden.
„Wir geben kund: Nie wieder!“, so heißt das Motto der von prominenten Künstlern, unter anderem von Otto Sander und Peter Zadek, initiierten Berliner Lichtspur. „Bewußt wählen wir – gerade an diesem Tag des nazistischen Fackelzuges – das Symbol der brennenden Kerzen, um damit anzuleuchten gegen den neu aufflammenden Irrsinn des alten und neuen Nationalismus und Rassismus“, heißt es in ihrem Aufruf. Und ausdrücklich bitten sie darum, keine Fackeln mitzubringen, damit deutlich sichtbar wird, daß heute eine „andere Spur des Lichts“ durch das Brandenburger Tor gelegt wird. „Eine Spur der Erinnerung und zugleich ein hundertausendfaches Zeichen der Ermutigung“.
Seit die Initiatoren der Lichtspur, Berliner Künstler wie der Kabarettist Martin Buchholz und die Schauspieler Harald Juhnke und Otto Sander, mit Plakaten und Flugblättern für Kerzen werben und Fackeln verhindern wollen, ist die Kritik an der Veranstaltung nahezu verstummt. Lediglich aus PDS-Kreisen war vereinzelt noch zu vernehmen, daß eine Lichterkette „unverbindlich“, „und es problematisch sei, sich an diesem Tag der Ästhetik der Faschisten zu bedienen“. Man wolle deshalb, so Laura vom Wimmersberg, PDS- Bezirksabgeordnete und Aktivistin der Friedenskoordination, nicht mit Kerzen durch das Brandenburger Tor gehen, sondern „allenfalls darum herum“. Andererseits, so sagte sie, seien Lichterketten geradezu zu einem Symbol gegen Rassismus und Ausländerhaß geworden und daher besonders wichtig, am 30.Januar gezeigt zu werden. Armin Gideon, im Sprecherrat des Bundes der Naziverfolgten, will sich ebenfalls daran beteiligen, obwohl er ein „Gesamtkunstwerk“ befürchtet. Denn um 18Uhr soll für fünf Minuten die Bestrahlung des Brandenburger Tors, des Doms und der Siegessäule abgeschaltet werden, als „Zeichen der Trauer, gedenkend der Opfer von damals und heute“, wie es im Aufruf heißt. Leuchten soll nur noch die mit Kerzen gebildete Mahnschrift „Nie wieder“.
Die Berliner Lichtspur wird inzwischen von den DGB- und SPD- Landesverbänden unterstützt, auch die Jüdische Gemeinde hat ihre Mitglieder aufgefordert, sich daran zu beteiligen. Die Initiatoren hoffen, daß mindestens 300.000 Menschen kommen. Vor der ab 17.30 Uhr stattfindenden Lichtspur zwischen Alexanderplatz und Siegessäule geht eine große, von mindenstens 50 Organisationen und antirassistischen Initiativen organisierte Demonstration und Kundgebung in Berlin- Mitte zu Ende. Die Redner werden allesamt auffordern, sich zu beteiligen.
Kontrovers wurde innerhalb der Linken nicht die Lichterspur diskutiert, sondern sehr heftig in der vergangenen Woche die Entscheidung des PDS-Vorstandes, eine eigene Kundgebung am 29.Januar zu veranstalten. Damit zog die Parteileitung die Konsequenz aus dem – auch von PDS- Bezirksgruppen mitgetragenen – Beschluß des Demonstrationsbündnisses, am Sonnabend keine Redner von politischen Parteien zuzulassen – Gregor Gysi war als Redner genannt worden. Es sei nicht nur „unser Recht, sondern entspricht auch unserer Verantwortung, eine eigene Veranstaltung durchzuführen und der eigenen Opfer zu gedenken“, schrieb er im Neuen Deutschland. Mit mindestens 60.000 Teilnehmern rechnet der Parteivorstand. Inzwischen versucht man den Konflikt herunterzuspielen, bestreitet, daß zwei Demonstrationen innerhalb von 24 Stunden sich gegenseitig behindern und ruft zu beiden Veranstaltungen auf. Anita Kugler
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