Am Tage Paukort und abends Gäste

■ Neue Schulen für 4,5 Milliarden/ Abkehr von Betonmonstern/ Discos und Kneipen im Schulgebäude?

Berlin. Mit einem Investitionsvolumen von 4,5 Milliarden Mark sollen bis 1996 zahlreiche neue Grund- und Hauptschulen, Schulsporthallen, Oberschulzentren und Gymnasien entstehen. Allein ein bis zwei Milliarden Mark sind reserviert für den Neubau von Schulen im Ostteil der Stadt und in den geplanten Vorstädten im Nordosten Berlins und in Altglienicke.

Die Planung zukünftiger Schulen wird auch darum notwendig, weil sich die schnellfabrizierten Plattenbauten in Ostberlin sowie die standardisierte Architektur für Gesamtschulen und Schulzentren im Westteil nach zwanzig bis dreißig Jahren zum Teil verschlissen haben und abgetragen werden müssen. Unpraktische Nutzungen, bröckelnder Putz und Verseuchungen durch Asbeststaub sind die Ursachen für den Abriß. Die gegenwärtige Demontage des Schulzentrums in der Emser Straße steht beispielhaft dafür.

Mit dem Abriß der großen Schulzentren „stehen wir zugleich vor einem Neubeginn, der den Schulbau wieder als Teil eines ästhetischen und städtebaulichen Konzepts definiert“, sagte Senatsbaudirektor Hans Stimmann auf den „13. Berliner Architekturgesprächen“ zum Thema „Neuer Schulbau“ im Berlin-Pavillon. Die Schulneubauten erforderten einen qualitativeren Umgang mit den Freiflächen, den Sportflächen, der Architektur und den pädagogischen Vorgaben. Betonklötze reichten nicht mehr aus. Die Bauten berühmter Schulbaumeister, Hermann Blankenstein im 19. Jahrhundert oder Ludwig Hoffmann im späten Kaiserreich, sollen wieder Vorbilder für das moderne bauliche Programm werden, vertrat Hans Stimmann. Statt „aufgelöster Formen“ oder Gesamtschulen müsse sich der Schulbau auf die städtische Typologie beziehen.

Die traditionellen Lernkästen aber sind dadurch geprägt, daß sich der Schulbau vom städtischen Kontext „befreit“, wie der Hochschullehrer Schmidt-Thomsen in Erinnerung rief. Der Typus „Schulgebäude“, so Schmidt- Thomsen, entwickelte sich aus dem Wohnhaus über die „Schulkaserne“ bis hin zu burgenähnlichen Palästen. Der Bau war freistehend und hatte somit ein hohe örtliche Identifizierbarkeit. Max Tauts Schulen gehören darum ebenso zum Repertoire typischer Lernanstalten wie die Schulen Hans Scharouns im Pavillon-Stil.

Vor gebauten „Funktionskisten“ und übergroßen Schulbauten warnte der Schweizer Architekt Urs Müller. Kinder, so Müller, verbringen rund 15.000 Stunden ihres Lebens in Schulen. Zukünftige Schulbauten sollten darum „kleine Schulen für kleine Gruppen“ sein, variabel gebaut werden und offen für Veränderungen und Experimente sein. Die Architekten Max Dudler und Stefan Scholz vertraten dagegen, „Kinder müssen ihre Schulen als etwas Besonderes erleben“. Gestalt und Standort sollten „prägend“ sein. Damit das Schulhaus nicht nur Paukort bleibt, sollten Konzepte für eine „Mischnutzung“ überlegt werden. „Ein wirklich öffentlicher Ort ist die Schule nur dann, wenn sie 24 Stunden offen ist“, sagte Dudler. Das Gebäude sollte Wohnungen, Discos, Kneipen und Kegelbahnen enthalten – eine Überlegung, die so neu gar nicht ist: bis zur Jahrhundertwende waren in Schulen Wohnungen, Standesämter, Archive und Läden untergebracht. Rolf Lautenschläger