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„Jetzt hängen wir Victor auf“

■ 16jähriger wurde von seinen Klassenkameraden stranguliert

Köpenick. Der von seinen Mitschülern gefolterte 16jährige Victor Z. wird wahrscheinlich nicht mehr in seine alte Klasse zurückkehren und möglicherweise sogar die Schule wechseln. Am 15.Januar hatten drei Klassenkameraden den jungen Mann in der 5. Gesamtschule mit einem Seil stranguliert und an einem Lüftungsrohr aufzuhängen versucht. Die übrigen Mitschüler sahen zu. Zwei der Täter, der 17jährige Sascha und der 16jährige Stefan, sitzen inzwischen wegen des Verdachts des versuchten Totschlags in U-Haft. Der dritte Täter erhielt Haftverschonung und wurde bis zu einer Entscheidung der Schulaufsicht vom Unterricht suspendiert.

Die Ermittlungen und Zeugenvernehmungen über den Hergang der Tat und die Hintergründe dauern noch an. Den bisherigen Stand faßte gestern der Köpenicker Volksbildungsstadtrat Hans-Joachim Munte (SPD) gegenüber der taz so zusammen: Am Freitag vor einer Woche hätten sich zwischen 12.40 und 13.00 Uhr die Zehntkläßler der 5. Gesamtschule nach dem Sportunterricht umgezogen, Jungs und Mädchen getrennt. Plötzlich habe jemand laut gerufen: „So, jetzt hängen wir Victor auf.“ Sascha und Stefan hätten ein Seil um Victors Hals geknüpft, das andere Ende über ein in 2,20 Meter Höhe befindliches Lüftungsrohr geworfen und zu dritt, zusammen mit dem dritten Schüler Francis, versucht, ihn hochzuziehen. Unter dem Gewicht sei das Rohr jedoch abgekippt, Victor sei auf den Boden gefallen. Laut Munte berief sich Sascha bei der Polizei darauf, die zwölf dabei zuschauenden Klassenkameraden hätten ihn „unwahrscheinlich angefeuert“.

Nun hätten Sascha und Stefan das Opfer in den Waschraum geschleift und den Knoten der am Hals festgezurrten Schlinge mit Wasser befeuchtet, damit dieser nicht mehr gelöst werden könne. Irgendwie sei es Victor gelungen, seinen Peinigern zu entkommen. Der im Gesicht bereits blau angelaufene Junge rannte zu den Sportlehrern, die ihm die Schlinge vom Hals schnitten. Einer von ihnen brachte Victor zur Rektorin. Jene befand, daß der junge Mann allein zum Arzt gehen könne. „Diese Entscheidung“, so der Volksbildungsstadtrat Munte, „war sicherlich falsch.“ Ob dies Konsequenzen habe, müsse jedoch die Schulaufsicht klären.

Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende: Der 16jährige Francis, immerhin einer der Täter, soll Victor mit seinem Fahrrad zur Bushaltestelle gefahren haben. Ob er dem Opfer bei dieser Gelegenheit oder später drohte: „Halt die Schnauze, wenn du was erzählst, kriegst du was zu spüren“, ist laut Munte noch nicht geklärt.

Sascha und Stefan sollen Rechtsextreme sein und auch an dem Überfall auf das Ausländerheim in Hoyerswerda beteiligt gewesen sein. In der Schule kursiert angeblich ein Video, das die beiden dort in Aktion zeigt. Insbesondere Sascha soll an der Schule durch sein Skinhead-Outfit aufgefallen sein. Was die Jungen gegen Victor hatten, vermag Munte nur zu vermuten. Victor sei ein eher nachdenklicher und vorausschauender Mensch und habe sich wahrscheinlich deshalb von seinen Klassenkameraden etwas abgesondert. Das sei von diesen womöglich als Arroganz ausgelegt worden.

Ein Schüler hat laut Munte inzwischen bei der Polizei gesagt, der arrogante Victor habe „es verdient“. Trotzdem kehrte Victor Anfang dieser Woche noch einmal in seine alte Klasse zurück. Allerdings nur für zwei Tage. Am Mittwoch schickte seine Mutter der Schule ein Entschuldigungsschreiben, in dem sie erklärte, die Tortur in seiner Klasse sei ihrem Sohn nicht länger zuzumuten. Plutonia Plarre

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