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Bedröhnte Sabatini

■ Monica Seles und Steffi Graf im Endspiel der Australian Open

Melbourne (taz) – Auf dem Höhepunkt seiner Kokainkrise, verbunden mit rasch anschwellender Leiblichkeit, hatte Diego Armando Maradona einen Bewegungsradius, der kaum größer war als der eines gut abgehangenen Filetstücks vom Rost eines argentinischen Steakhauses. So gesehen, muß Landsfrau Gabriela Sabatini gestern völlig bedröhnt gewesen sein. Oder schlief sie noch, offenen Auges, wie auf den Tribünen gemutmaßt wurde? War es die Hitze? Was Mentales? Liebeskummer gar? Jedenfalls spielte die Schöne aus Argentinien so unverschämt schlecht, langsam und unkonzentriert, daß das 1:6 und 2:6 gegen eine keineswegs überragende Monica Seles noch ein recht glückliches Resultat war. So war es mit 53 Minuten nur das kürzeste Grand Slam-Halbfinale seit Erfindung der Uhr. Dankbar war das Publikum im vorsorglich nur zu drei Vierteln gefüllten Stadion, daß die Weltranglistenerste ihre Stimme wiedergefunden hat und die Zuschauer mit ihrem Stöhn- Grunzen am Einschlafen hinderte. Als endlich alles vorbei war, wunderte man sich, daß es tatsächlich eine Art müden Applaus gab statt des verdienten Pfeifkonzerts derer, die rund 53 Mark für ein solche Zumutung bezahlt hatten. Aber das Klatschen sollte wohl Dankbarkeit bezeugen, daß die Tortur vorüber war. Monica Seles log hernach etwas von einem großen Match und hatte wenigstens die Lacher der Satireliebhaber auf ihrer Seite. Gabriela Sabatini hat in ihrer Karriere bislang 6.056.672 US-Dollar allein an Preisgeld kassiert. Für ihre peinliche Vorstellung im Halbfinale bekommt sie (inclusive der fünf vorher gewonnenen Spiele) rund 70.000 Dollar dazu. Nicht schlecht: da kann man nachher „gewissermaßen enttäuscht“ erklären, daß man kränklich sich gefühlt habe und sicher etwas langsam gewesen sei. Dreist indes war ihre Schlußanalyse: „Das Frauentennis ist vom Niveau her so hoch mittlerweile. Und ich bin gar nicht soweit entfernt vom Level der beiden.“ Gemeint waren Seles und Graf. Am Donnerstag war sie soweit weg wie Buenos Aires von Melbourne. Aber hin und zurück, mindestens. Mit einem Umweg über Wimbledon.

Das zweite Halbfinale hatte immerhin mittleres Niveau, war vergleichsweise also ein Krimi. Die Spanierin Arantxa Sanchez-Vicario hielt volle 90 Minuten mit, schlug bei 5:4 sogar einmal zum Satzgewinn auf, verzichtete danach aber auf die nötige Konzentration, so daß es der erschreckend verhärmten Mutter Marisa bei jedem verschlagenen Ball die Mundwinkel weiter nach unten zog. Vergleichsweise nur verkrampft und verbissen schaute Mutter Graf drein bei ihren Anfeuerungsrufen. Und weil Mutter Heidi in Melbourne ist, ist Papa Peter, der Übervater, nicht in Melbourne, und schon steht Tochter Steffi im Endspiel, nach dem 7:5 und 6:4.

Seles/Graf also am Samstag – langweilig, immer das gleiche Endspiel? Von wegen: Sporthistorisch ist es ein Novum eigener Art. Die beiden standen sich noch nie in einem Finale gegenüber – in Melbourne. Bernd Müllender

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