Gleichberechtigung im Trippelschritt

■ US-Präsident Bill Clinton verzögert die endgültige Aufhebung des Banns gegen Schwule und Lesben im Militär

Washington (taz) – Einen „Honeymoon“ hatte sich Präsident Clinton mit dem von Demokraten beherrschten Kongreß gewünscht – und wenn es schon Streit geben muß, dann über Themen wie das Haushaltsdefizit, Steuererhöhungen, Irak oder Bosnien. Statt dessen ereifert man sich im Pentagon, auf dem Capitol und in den Medien seit Tagen über die Frage, ob der Bann gegen Schwule und Lesben im US-Militär aufgehoben werden soll oder nicht.

Zweimal brach in den letzten Tagen im Capitol die Telefonzentrale zusammen, weil Tausende von Bürgern den Senatoren ihre Meinung zum Thema mitteilen wollten. Dabei handelte es sich vermutlich weniger um spontane Meinungsäußerungen als um organisierte Telefonkampagnen von Lobbygruppen der einen und anderen Seite.

Die Demoskopen haben nach den Wahlen endlich wieder Anlaß, eine neue Umfragenwelle zu starten. Die US-Bevölkerung, so stellten die Washington Post und die Fernsehgesellschaft ABC in einer Telephonumfrage fest, ist gespalten: 47 Prozent sind dafür, die Diskriminierung gegen Homosexuelle zu beenden, 47 Prozent wollen ihnen das Tragen der Uniform weiter verbieten.

Nach einem mittleren Erdbeben im Kongreß und im Pentagon hat Clinton nun eine Kompromißlinie eingeschlagen. Daß er sein Wahlkampfversprechen wahrmachen und der Diskriminierungspolitik in der Armee ein Ende setzen wird, daran hatte Clinton auch am Montag nach einem Gespräch mit den führenden Militärs des Heers, der Marine, der Luftwaffe und der US-Marines, keinen Zweifel gelassen. Doch anstatt, wie angekündigt, den Bann unmittelbar nach Amtsantritt durch eine Exekutivorder aufzuheben, will das Weiße Haus einen Zwei-Phasen-Plan durchführen: Demnach wird Clinton vorerst nur veranlassen, neue RekrutInnen nicht mehr nach ihrer sexuellen Orientierung zu befragen.

Sein Verteidigungsminister Les Aspin soll die nächsten sechs Monate nutzen, um nach Verhandlungen mit Kongreßmitgliedern und der Militärführung eine Exekutivorder zu formulieren, die den Bann endgültig aus der Welt schaffen würde. Der Kongreß soll Gelegenheit haben, das Thema in Anhörungen zu diskutieren. Die Generalstabschefs unter Führung ihres Vorsitzenden, General Colin Powell, hatten in den letzten Tagen öffentlich ihren Protest gegen Clintons Pläne angekündigt und sich darüber beschwert, in der Frage nicht konsultiert worden zu sein. Der General behauptet nach wie vor, die Legalisierung von Homosexuellen in der Armee würde die Einsatzbereitschaft und die Moral der Truppe unterminieren.

Mit den gleichen Argumenten hatte die Armeeführung vor fünfzig Jahren die Integration von Schwarzen im Militär abgelehnt. Auch damals bedurfte es eines Präsidenten, der sich über latente oder offene Vorurteile im Kongreß, in der Militärführung und in der weißen Öffentlichkeit hinwegsetzte. 1948 erließ Harry S. Truman eine Exekutivorder, in der die Segregation in der Armee aufgehoben wurde. Allerdings verschaffte auch er sich, ähnlich wie Clinton, eine Atempause und berief einen Ausschuß, der in aller Gründlichkeit studieren sollte, wie die Order umgesetzt werden sollte.

Zweifellos hat man in der Clinton-Administration nicht nur den Widerstand in der Armee, sondern auch im Kongreß unterschätzt. Auch dort fühlt man sich übergangen. Konservative Senatoren wie der Republikaner Robert Dole haben angekündigt, den Pentagon- Bann per Gesetz zu verankern, sollte Clinton versuchen, ihn durch eine Exekutivorder aus der Welt zu schaffen. Auf Seiten Doles steht bislang noch Sam Nunn, Demokratischer Senator aus Georgia und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Ihn umzustimmen, ist für Clinton Voraussetzung, um sich die nötige Unterstützung im Kongreß zu sichern.

In diesem ersten Showdown mit der Legislative steht nicht nur Clintons Prinzipientreue auf dem Prüfstand. Sowohl im Kongreß als auch im Pentagon will man ganz offensichtlich in einer Art Initiationsritual Autorität und Durchsetzungsvermögen des neuen Präsidenten testen. In den Senatsdebatten der letzten Tage erinnerten Redner der Republikaner immer wieder daran, daß der neue Präsident selbst nie eine Uniform getragen habe – und deshalb bei militärischen Themen ganz besonders auf seine Armeeführung hören sollte. Andrea Böhm