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Unbehagen an allen Ecken und Enden

In der Freiburger Linken wächst der Widerstand gegen den Umgang mit dem Bombenattentat: „Die traurige Geschichte wird politisch verwurstet, um die Bedeutung der Linken zu sichern“  ■ Von Uli Fuchs

Freiburg (taz) – Heinz arbeitet seit ewigen Zeiten in der Freiburger Buchhandlung „Jos Fritz“. Hier liefen schon viele Fäden der linken Freiburger Polit-Szene zusammen, als es noch galt, den Bau eines Atomkraftwerks in Whyl zu verhindern. Und erst recht natürlich von Anfang bis Mitte der Achtziger, als die Stadt zu den Zentren der Hausbesetzer-Bewegung zählte. Doch was jetzt, ein paar Tage nach dem tödlichen Packetbomben-Attentat auf Kerstin Winter passiert, läßt Heinz schaudern: „So eine Mischung aus Widerlichkeit, Dümmlichkeit und Respektlosigkeit habe ich schon lange nicht mehr erlebt.“

Die „Pressefritzen“, die im Buchladen um Informationen nachfragen, werden einfach weitervermittelt. „Wir schicken wir sie halt zu Radio Dreyeckland.“ Dorthin, wo ein Sprecher der antifaschistischen Szene als alleinige Instanz auskunftberechtigt ist.

Heinz hat die Vorgänge nach dem brutalen Mord aus einer Distanz erlebt, die typisch ist für viele, die einst in der linken Szene der Stadt aktiv waren. „Ich habe selten mitgekriegt, daß eine so traurige Geschichte so schnell politisch verwurstet wurde. Es ist schon so, daß ich das Gefühl habe, wenn es nicht passiert wäre, hätte es erfunden werden müssen“, sagt Heinz. Die lange Erfahrungen mit den Grabenkämpfen, die die Linke in den vergangenen Jahren zersplittert haben, mindern seine Empörung nicht.

Deutungen wie die von Heinz, „daß der Mord benutzt wird, um sich angesichts der realen Bedeutungslosigkeit der Linken der eigenen Bedeutung zu versichern, quasi als Definition ex negativo“, werden in dieser Schärfe nicht von vielen formuliert. Und doch: das Unbehagen angesichts des Umgangs mit dem Tod der 24jährigen ist an fast allen Ecken und Enden der Szene zu spüren.

Hier ist vor einer Woche nicht „nur“ ein – bislang unaufgeklärter – brutaler Mord verübt worden, der es mehr als nur möglich erscheinen läßt, daß der rechte Terror eine neue Dimension erreicht hat. Doch die seit Tagen bestehende Unsicherheit, ob der Anschlag tatsächlich politisch motiviert war, hat den Zustand der Szene offengelegt.

Ob Flugblätter oder Presse-Erklärungen – nach dem Mord beschränkt sich die hergestellte Öffentlichkeit, am Sprachgestus unschwer zu erkennen, auf die Perspektive des Antifa-Lagers, das in Freiburg mehr oder weniger in Personalunion auch das Autonome und antiimperialistische Ressort mitverwaltet. „Kerstin wurde von Faschos ermordet“, hieß es zwei Tage nach dem Anschlag auf einem Flugblatt.

In einer Presseerklärung eines „Autonomen Komitees Kerstin“ – zwischenzeitlich umbenannt in „Info Gruppe Kerstin“ – vom selben Tag wird verlautet: „Wir wissen (noch) nicht, welche Person Kerstin ermordet hat. Es gibt keinen Grund zur Annahme, daß es kein faschistischer Anschlag war.“ Inzwischen weiß man immerhin, so die jüngste Presseerklärung der Info Gruppe, daß bei den Ermittlungen „bekannte Strategien des Landes-kriminalamts und somit der Landesregierung (Kriminalisierungen...) u.a. angewandt werden, um sich der eigentlichen Opposition zu entledigen“.

Andauernd klingelt in der Redaktion von Radio Dreyeckland das Telefon. Rainer*, der Sprecher der Info Gruppe Kerstin („Die richtige Formulierung wäre, daß ich das Vertrauen der Leute aus der Gruppe habe.“) hat wenig Zeit. Er hat aber auch wenig zu sagen: Daß die Gruppe „längerfristig“ arbeiten will, daß sie „die politische Dimension darstellen“ will, daß es darum geht, „die Entpolitisierung des Falles darzustellen“. Irritationen, Unsicherheiten darüber, was wäre, wenn sich herausstellen sollte, daß der Mord doch kein faschistischer Anschlag war? „Ich würde sagen, fast jeder Mord ist ein politischer Mord.“

Ein paar Tage nach ihrer Ermordung ist die Tote bereits nahtlos in die Denkmuster dieses Teils der Szene integriert. Übergreifende Strukturen, die hier eingreifen könnten, gibt es keine mehr. Kritik an dem Umgang mit dem Mord werden bestenfalls an Kneipentischen geäußert oder sofort mit Zusätzen wie „das ist aber nur meine ganz persönliche Meinung“ versehen.

Christof*, der zum engeren Umfeld der Autonomen zählt und lange Antifa-Arbeit mit Punks gemacht hat, will zum „Vorwurf der Instrumentalisierung“ der Ermordeten „gar nichts“ sagen: „Ich glaube nicht, daß in einer Zeitung genug Platz dafür da ist, das inhaltlich korrekt aufzuarbeiten.“

Kein Blatt vor den Mund nimmt Thomas Schrecker, der für die Öffentlichkeitsarbeit des links-alternativen Senders „Radio Dreyeckland“ zuständig ist. „Schon die Falschinformation, daß Kerstin Mitarbeiterin von Radio Dreyeckland war, ist ja von hier gekommen.“ Er sieht hierin ganz eindeutig den Versuch, eine Stimmung zu erzeugen, daß „jemand von unserem Radio das Opfer ist“. Für Schrecker ist das nur ein Beispiel, wie sofort nach dem Mord „eine Frau, die viele gar nicht gekannt haben, als Märtyrerin aufgebaut wurde“.

Daß die Räumlichkeiten des Radios und nicht der „Infoladen subito“ als „Headquarter“ genutzt werden, findet er aufgrund des politischen Selbstverständnisses des Senders „in Ordnung“: „Hier ist halt ein Faxgerät, und die Leute können umsonst telefonieren.“

Nicht nur Thomas Schrecker war irritiert über die „Mediengeilheit“, die gerade diejenigen an den Tag gelegt haben, die die bürgerlichen Medien ansonsten als ihren Erzfeind betrachten. Auch Klaus*, der schon lange beim Radio arbeitet, findet es „bezeichnend, daß hier jahrelang darüber diskutiert wurde, ob wir mit der Lokalpresse, dem Südwestfunk oder der Stadtzeitung reden. Und heute ist es möglich, daß sich die Leute bei Pro7, RTL explosiv oder Stern TV vor die Kamera stellen“. Von einer „Instrumentalisierung des Anschlags“ zu sprechen, hält er allerdings „für überzogen“. „Ich finde den Umgang mit Kerstins Tod leichtfertig. Stell dir vor, es kommt was anderes raus.“

Aber noch viel entscheidender für Klaus ist, daß „wir eigentlich ganz anders vorgehen müßten“. „Die Frage müßte doch lauten: Wie sind eigentlich die Zustände, daß es uns plausibel erscheint, daß Rechtsradikale hinter diesem Mord stehen?“

Wie sehr Kerstin Winter und der Mord an ihr von den Freiburger Alt-Szene-Strukturen okkupiert wurden, wird dort richtig deutlich, wo die Ermordete den Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit gelegt hatte: in der AZ-Ini, einem Zusammenschluß verschiedener Gruppen, die sich politisch für die Einrichtung eines Autonomen Zentrums in Freiburg einsetzen. Kerstin Winter war in diesem Gremium als Mitglieder der „Punx gegen Langeweile“ tätig.

Mit der Alt-Szene haben die Leute, die hier um den Tisch sitzen, nichts zu tun. Und zum ersten Mal entsteht im Gespräch ein Bild der Toten, das weit über die Hülse „Kerstin Winter war eine aktive Antifaschistin“ hinausgeht. Alle, die da sitzen, erzählen, daß „Kerstin keine besondere, keine exponierte Funktion“ innerhalb dieser Gruppe hatte. Und ohne jedes hohle Pathos, und ohne daß sie es gezielt wollen, erzählen sie dabei doch, daß Kerstin Winter etwas Besonderes verkörpert hat. „Sie hat nicht nur auf irgendwelchen Treffen rumgeschwabbelt, sie hat die Sachen einfach gemacht. Ausländische Kinder unterrichtet zum Beispiel.“ Einen „Allround-Job“ habe Kerstin Winter gemacht, die drei Monate vor ihrer Prüfung als Krankenschwester stand. „Ihr politisches Feeling hat ihren Alltag bestimmt“, erzählt Claudi*, und Jürgen* erinnert sich, daß sie einen mit ihrer Energie, mit ihrem Elan angesteckt hat.

Von Szene-Reibereien ist die Gruppe (bislang) noch relativ verschont geblieben. Das Bedürfnis, diesen Zustand beizubehalten, ist spürbar. Und wird auch deutlich formuliert: „Jetzt keine Keile dazwischen treiben.“ Sicher, mit den „Flugis“ haben sie „auch Schwierigkeiten“ gehabt: „Wenn ich da was lese von Metropolen und Peripherie, und daß der Antagonismus zunimmt, dann krieg ich Pickel.“ Aber schließlich müsse man es verstehen, „wenn die Leute, die Kerstin nicht direkt gekannt haben, diesen politischen Kontext herstellen“. Das war „eben auch Kerstins Kampf“. Die Aussagen sind widersprüchlich und zum Teil hilflos. Aber hier, in diesem Rahmen, in dem die Person Kerstin bekannt war, klingen sie nicht vorgestanzt. „Es reicht doch schon der Gedanke“, sagt Claudi, „daß es wahrscheinlich Rechte waren. Daß die Zustände so sind, daß man davon ausgehen muß. Daß es immer mehr zunimmt mit diesen Faschos. Das allein reicht doch schon.“

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