■ Kommentar: Eine Erholungsstätte
Für Bild ist Kohls Entscheidung, die Neue Wache zum Bundesehrenmal zu machen, „der erste große Schritt in Richtung Hauptstadt“, für die Morgenpost ein „nationaler Haltepunkt von Rang“, der Tagesspiegel spricht von einer „klugen Entscheidung“. Die einhellige Zustimmung zur anvisierten Umwandlung des Baus Unter den Linden zeigt, wie sehr die vereinigte Republik zu sich selbst findet. Vorbei die Zeiten, in denen noch jene mahnenden Stimmen gehört wurden, die eine zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik für überflüssig hielten. Nun also wird an zentralem Ort die unterschwellig vorherrschende Meinung, Täter und Opfer seien gleich, sofern sie nur unter der Erde liegen, in Stein gehauen. Damit hat der Historikerstreit, den der Wissenschaftler Ernst Nolte 1986 in der FAZ eröffnete, einen nach außen hin sichtbaren Sieg errungen.
Noch wird bei der Frage, ob die Bundeswehr aufzieht, diplomatische Zurückhaltung geübt – aber auch deren Aufmarsch wird sich nicht vermeiden lassen. Denn wie alle Gedenkstätten solcher Art dienen sie letztlich nur dem Ritual nationaler Selbstinszenierung. Weil die Mehrheit der Deutschen sich immer noch lieber als Opfer der Alliierten – oder in neuester Zeit des „DDR-Unrechtsregimes“ – sieht, ist die Bestimmung des Ortes schon heute vorhersehbar. Kritische Reflexion über deutsche Geschichte wird jenen schrumpfenden Zirkeln überlassen, die sich in Universitäten, auf Symposien und den wenigen noch der Aufklärung verpflichteten Medien der Verdrängung widersetzen. Im Bau unter den Linden aber wird den Mehrheits-Deutschen eine Ruhestätte eingerichtet, wo sie sich mit dem Segen ihrer Repräsentanten von der „Last der deutschen Geschichte“ erholen dürfen. Severin Weiland
Reaktionen auf die Kanzlerentscheidung Seite 40.
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