„Wer anständig ist, darf bleiben“

Ein Streifzug durch das rote Wien, wo niemand etwas gegen Ausländer hat – vorausgesetzt, es sind nicht zu viele/ Hier hat sich viel Wut aufgestaut – Haider profitiert  ■ Aus Simmering Dorothea Hahn

„Islam für alle“ stand für ein paar Stunden an der Wand im katholischen Pfarrhaus von Simmering. Richtig verstanden hat das niemand. Dann kam der Geistliche und überpinselte es.

Nur wenige Simmeringer haben die Inschrift mit eigenen Augen gesehen. Trotzdem hat sich die Sache im XI. Wiener Bezirk herumgesprochen. In dem traditionsreichen Arbeiterbezirk, zwanzig Straßenbahnminuten von der mondänen Innenstadt entfernt, rätseln man jetzt, wer da geschmiert haben könnte – die „eigenen Ausländer“ oder solche „Illegalen und Kriminaler“, wie sie der Jörg Haider aus Österreich rausschmeißen will.

Der Pfarrer spielt die Angelegenheit herunter. „Das kann ich doch nicht ernst nehmen“, lacht er mit zusammengekniffenen Lippen. Die Bergpredigt ist des 62jährigen Leitfaden in Sachen Flüchtlinge. In seinem Haus beherbergt er eine bosnische Familie. Gegenüber seinen 16.000 Schäfchen im roten Wien setzt er auf die Kraft der vorgelebten „positiven Haltung“. In der Glasvitrine vor der wuchtigen Neu-Simmeringer Kirche hängt neben den Beichtterminen immer noch das große Aufrufplakat zu der „einmaligen Lichterdemonstration gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassenhaß“ vom vergangenen Samstag. Und unter den 200.000 Teilnehmern war natürlich auch der Kirchenmann.

Simmering ist aufgeräumt, adrett und sauber. Keine Spur von Hauptstadt- Aggressivität. Kein Geschubse und Gedrängele.

Alles picobello

Politische Slogans sind rar gesät. Nicht einmal an die riesigen Plakate, die in den Nationalfarben Rot und Weiß zum Volksbegehren „Österreich zuerst“ aufrufen, haben sich die Graffiti-Künstler herangetraut. Auch in der Straßenbahnlinie 71, die ins Stadtzentrum führt, ist alles picobello: keine aufgeschlitzten Sitze, keine Hakenkreuze, keine antifaschistischen Aufkleber, nicht einmal laute Walkmen.

Die Schmiererei im Pfarrhaus muß als neuerlicher Beleg für die bevorstehende Machtübernahme durch die Fremden herhalten. „Wenn wir nicht aufpassen, gehört Österreich in zwei Jahren denen“, sagt eine Beamtin der Eisenbahn.

Gerade in Simmering mutet dieses Gerede seltsam an. Seit Jahrzehnten hat sich hier kaum etwas an der Bevölkerungszusammensetzung geändert. Dazu gehören– wie überall in der Hauptstadt des früheren Habsburger-Imperiums – Tausende, deren Namensendungen auf -owsksi und -ovacz ihre Herkunft aus dem heutigen Ausland verraten. Aber die sind schon vor Generationen Österreicher mit vollen Rechten geworden. Und auch die neuen Einwanderer leben schon in zweiter oder dritter Generation in Simmering. Ausländerghettos wie im XV. oder XVI. Bezirk gibt es hier nicht. Während von den 1,5 Millionen Wienern 14 Prozent Nicht-Österreicher sind, haben in Simmering gerade mal 8 Prozent der 67.505 Einwohner keinen österreichischen Paß.

In ihrem Büro im ersten Stock des magistratischen Bezirksamtes breitet sich die stellvertretende Bezirksvorsteherin Gertraud Steiner über die Mentalität der Rumänen aus. Bei einem Besuch in Siebenbürgen hat die Vierzigerin beobachtet, „wie die Ernte auf den Feldern vertrocknet, weil die zu faul sind“. Solche Flüchtlinge will sie nicht. „Die Österreicher nach dem Krieg sind ja auch nicht davongerannt.“ Gertraud Steiner ist erst Ende 1991 nach dem phänomenalen 23-Prozent-Sieg der Freiheitlichen Partei (FPÖ) zu ihrem Posten gekommen. Ins Bezirksamt hat sie eine dicke Weihnachtskerze mitgebracht, die Ende Januar immer noch auf ihrem Schreibtisch flackert. Daneben steht ein Miniaufnahmegerät. Ungefragt schaltet sie es ein, wenn ihr ein Besucher nicht geheuer ist. „Das ist nur zur Kontrolle für mich selbst“, behauptet sie, als sie ertappt wird.

In einer Schublade hat sie Beweisstücke gesammelt, um die schlechte Stimmung in dem Arbeiterbezirk zu dokumentieren: Die Farbfotos zeigen eine Schmiererei an der Wand ihres Wohnhauses – „Hur Steiner“ und – bei einem FPÖ-Bezirksabgeordneten – „Blockwart SS“. Zwischendrin legt sie abgerissene, zerknitterte Plakate auf den Tisch, die über die großen Werbeflächen für „Österreich zuerst“ geklebt wurden. „Erst Volksbegehren, dann totschlagen“, steht auf einem. „Nicht wir, die anderen wollen den Krieg“, sagt die Blondine mit zitternder Stimme.

Der Bezirksamtsleiter einen Stock über ihr versucht sich freizuhalten von dem Mißtrauen, das in Simmering eingezogen ist. Seine Bürotür steht weit offen. Der lange, helle Behördentisch biegt sich unter den aufgestapelten Verordnungen. Wie alle Bezirksamtsleiter Österreichs muß auch Karl Anibas vom 25. Jänner bis zum 1. Februar das Anti-Ausländer- Volksbegehren der FPÖ ausrichten. „Als Beamte machen wird das natürlich alles korrekt“, sagt er. Seinen Mitarbeitern hat er empfohlen, sich auf keine Diskussionen einzulassen. Als „Privatmann“ jedoch hält er das Volksbegehren für reinen „Nonsens“ und macht keinen Hehl daraus.

Volksbegehren gibt es in Österreich immer wieder. Doch dieses ist das erste, bei dem die Wahlberechtigten gegen eine Minderheit im eigenen Land unterschreiben dürfen. Schon in den Morgenstunden des ersten Eintragungstages haben in Simmering 500 Menschen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Die Sozialisten waren in Simmering immer die stärkste der Parteien. Nirgendwo in Österreich verfügten sie über derart hohe Wähler- und Parteimitgliederanteile. Wahlergebnisse mit zwei Dritteln der Stimmen waren jahrzehntelang die Regel. Was immer die Sozialisten entschieden – es geschah. Sie verteilten die Posten, sie vergaben die Wohnungen.

Treue Klientel

Auf sie geht auch das gigantische Wohnungsbauprogramm zurück, das in den zwanziger Jahren Tausenden von Arbeiterfamilien eine Bleibe mit Strom und Wasser verschaffte und den Ruhm des Austromarxismus begründete. Die Kinder jener ersten Mieter leben oft heute noch in den Gemeindebauten, von denen Simmering besonders viele hat. Daß sie eine treue Klientel der Sozialisten waren, verstand sich von selbst. Seit Mitte der achtziger Jahre erobert Haider Stiege für Stiege diese Arbeiterhochburgen.

Im Bezirksamt Simmering hat der Siegeszug der FPÖ die Arbeitsteilung geändert. Die konservative Volkspartei (ÖVP) – jahrzehntelang einziger Bündnispartner der Sozialisten – verschwand auf einem dritten Platz. Die Sozialisten haben damit, obgleich mit 59 Prozent weiterhin stärkste Partei von Simmering, ihr kalkulierbares Gegenüber verloren. Der Schock sitzt tief. Bisher haben die Sozialisten die neue Realität verdrängt. „Ich hoffe immer noch auf einen Absturz von Haider. Schließlich müssen denkende Menschen irgendwann dessen Phrasen durchschauen“, sagt der Bezirksamtsleiter.

In den sozialistischen Jahren hat sich in dem Arbeiterbezirk viel Wut angestaut. Vor dem Eintragungslokal für das Volksbegehren entlädt sie sich. Die Simmeringer mit österreichischem Paß sind im Lodenhut und Pelz gekommen, aber auch im schicken Anzug und im roten Rollkragenpullover. Ein Anstoß genügt, und schon schimpfen und raunzen sie ganz fürchterlich: über die Parteibuchwirtschaft und das Gekungel um Posten, über die Spitzenverdienste von Politikern und die Unterschlagungen öffentlicher Gelder.

Die ewig zu kurz gekommenen kleinen Leute sind hier versammelt. Einer mußte neun Jahre auf seine Gemeindewohnung warten. Eine muß 6.000 Schilling Miete zahlen. Sie mißtrauen allen Institutionen – den Sozialisten wie den Konservativen und der Kirche. Nur dem Haider wollen sie noch folgen. „Der weiß, was das normale Volk will“, sagt ein gelernter Koch. Er kommt aus einer klassisch austromarxistischen Familie. Seine Mutter besitzt sogar die Anstecknadel für 40jährige Parteimitgliedschaft bei den Sozialisten.

Das Volksbegehren gegen Ausländer kommt dem, was das normale Volk will, sehr nahe. Es kanalisiert uralte Ressentiments gegen das Fremde. Neu daran ist der Eindruck, die Ausländerfeindlichkeit hätte etwas mit Demokratie zu tun. Weil Volksbegehren in der Verfassung vorgesehen sind.

Die Vorstellungen der Unterzeichner des Volksbegehrens hören sich an wie aus dem Leitfaden des Ausländerfeindes: Ein Arbeiter will „einen hohen Zaun um Österreich bauen“. Einer prustet heraus, „das Gesindel muß weg“. Eine höhere Angestellte schlägt vor, „richtig durchgreifen und die außer Landes bringen“.

Freilich sollen nur die schlechten Ausländer mit der Unterschrift im magistratischen Bezirksamt vertrieben werden, solche, die niemand persönlich kennt. Dazu gehören die, die im Pfarramt die Wände vollschmieren und die Türken, die bei einer Rauferei im Freibad geschrieben haben: „Simmering gehört uns“. Bleiben sollen die anderen, die eigenen Freunde und Kollegen, die guten Ausländer. „Wer hier ist und integriert und anständig, der kann bleiben“, sagt eine Beamtin.

In der Hitliste der schlechten Ausländer steht „der Tscheche“ ganz oben. Drei Jahre nach dessen auch in Simmering überschwenglich gefeierten Selbstbefreiung vom Joch des Kommunismus heißt es: „Der Tscheche knackt unsere Autos.“ „Dem Rumänen“ verübelt man, daß er billiger arbeitet als der österreichische Fabrikarbeiter. Und „dem Ausländer“ schlechthin wirft man vor, daß er die Mieten hochtreibt und „seine Kinder auf unsere Schulen schickt“.

Die Polizeistatistik spricht eine andere Sprache. Danach werden die Ladendiebstähle zu über 50 Prozent von Österreichern begangen. Bei den Autoeinbrüchen nimmt die Zahl der ausländischen Erwischten zu. Zumeist stecken Touristen dahinter – Leute, die „zu kriminellen Zwecken für ein paar Tage nach Österreich kommen“, sagt der Hauptmann Günter Dorrer von der zuständigen Wache.

Zu offener Gewalt ist es in Simmering nicht gekommen. „Noch nicht“, sagt Hauptmann Dorrer. In den israelitischen Teil des Zentralfriedhofs im Süden des Bezirks, wo es mehrfach Schmierereien gab, fahren jetzt regelmäßig Patrouillen. Und bei den rechtsradikal gefährdeten Jugendlichen im Bezirk– „alles nur Mitläufer, keine Anführer“ – sprechen ab und zu Kontaktbeamte der Polizei vor. Verhältnisse wie in Deutschland hält der Polizist „schon von der österreichischen Mentalität her“ für unwahrscheinlich. „Denn die Österreicher verfallen nicht so in Extreme und sind viel dilettantischer als die Deutschen.“

Zumindest die Vorahnung von Gewalt begleitete im Herbst die Ankunft von 200 bosnischen Flüchtlingen in Simmering. Kaum hatten sie ihre Notunterkunft in einer alten Fabriketage, eingekeilt zwischen Autobahn, Eisenbahnlinie und Gewerbehöfen, bezogen, tauchte in den umliegenden Gemeindewohnhäusern der Anschlag auf: „Wehrt euch gegen die Asylanten“. An einer Hauswand prangte die Warnung: „Rostock2“. Um die Flüchtlinge nicht einzuschüchtern, behielten die Betreuer das Geheimnis für sich. Aus demselben Grund erfuhren die Flüchtlinge auch nichts von dem Volksbegehren. Fünf Monate später fühlen sie sich in Österreich wohlgelitten und gut behandelt. Die Männer arbeiten bei der Wiener Stadtreinigung. Wenn sie mit Kollegen im Gasthaus sitzen, versichern die ihnen, daß sie „nichts gegen Bosnier haben“. „Vielleicht“, sinniert ein älterer Mann aus Sarajevo, „liegt das ja daran, daß wir in der K.u.k.-Monarchie mal alle zusammengehört haben.“