: „Neuer Realitätssinn“
Südafrikas Präsident de Klerk kündigt rassenübergreifende Wahlen im kommenden Jahr an/ Allparteiengespräche sollen im März wieder aufgenommen werden ■ Aus Johannesburg Willi Germund
Ein selbstbewußter Frederik W. de Klerk eröffnete am Freitag morgen in Kapstadt die voraussichtlich letzte Legislaturperiode des Apartheid-Parlaments. Dabei legte er sich auf einen konkreten Zeitplan für den weiteren Abbau der Apartheid fest. Mit der Abschaffung der nach Hautfarben getrennten staatlichen Verwaltung will er eine der letzten verbleibenden offiziellen Rassismus-Strukturen des Landes beseitigen. Auch im Erziehungswesen soll die Ungerechtigkeit vermindert werden. Gegenwärtig kommen 60 bis 80 schwarze Schüler auf einen Lehrer, während an weißen Schulen das Verhältnis 18 zu eins beträgt.
De Klerks gleich zu Beginn seiner Rede verkündete Zuversicht für den weiteren Demokratisierungsprozeß gründet sich auf „einen neuen Geist und stärkeren Realitätssinn“, den er bei seinen Gesprächspartnern ausmachte. „Die schlichte Wahrheit ist, daß ein vernichtender Bürgerkrieg ausbrechen wird, falls die Verhandlungen nicht zum Erfolg führen“, sagte er. Im März sollen die seit Mai des vergangenen Jahres unterbrochenen Allparteiengespräche wiederaufgenommen werden. Spätestens im ersten Quartal des Jahres 1994 wird es die ersten rassenübergreifenden, freien und fairen Wahlen in der 350jährigen Geschichte des Staates Südafrika geben, sagte de Klerk. Im Herbst, möglicherweise November, könne dann eine Übergangsregierung gebildet werden.
Nach monatelangen Verzögerungen und Schwierigkeiten scheint damit der Weg für einen zügigen weiteren Übergang geebnet zu sein. Die Anti-Apartheid- Bewegung „African National Congress“ (ANC) mußte freilich einen hohen Preis zahlen. Über eines der wichtigsten Zugeständnisse schweigen sich beide Seiten bisher in der Öffentlichkeit aus: Die Verfassungsgebende Versammlung soll fünf Jahre lang amtieren. Danach wird eine weitere Phase mit Übergangsklauseln folgen.
Diese Vereinbarung entspricht nahezu völlig den Forderungen, die seit drei Jahren von Pretoria aufgestellt wurden. Auch diese Einigung dürfte de Klerk dem „neuen Realitätssinn“ bei den Gesprächen zuschreiben. In ANC- Kreisen wird die Abkehr von dem Verlangen nach einer möglichst kurzen Übergangszeit so begründet: „Wir haben die Macht der Stimmen, die Regierung besitzt die institutionelle Macht. Das beste war, uns zusammenzufinden.“
Die neue und enge Partnerschaft zwischen dem ANC-Verhandlungsteam und der weißen Minderheitsregierung führte bereits zu Ärger in der Widerstandsbewegung. Winnie Mandela, affärenumwitterte und entfremdete Ehefrau des ANC-Chefs Nelson Mandela, fuhr am letzten Wochenende in einem Zeitungsbeitrag schweres Geschütz auf: „Die Regierungselite steigt mit dem ANC ins Bett, um ihre seidenen Betttücher zu behalten, und der ANC steigt zur Regierung ins Bett, um den neuentdeckten Luxus zu genießen.“ Die umstrittene Politikerin warnt: „Diese Schnellschüsse können nur wenigen nützen und werden im ganzen Land nach hinten losgehen.“
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