piwik no script img

„Tudjmans Befehl hat uns gestoppt“

Offensive der Kroaten gilt „rosa Zonen“  ■ Von Erich Rathfelder

Zadar (taz) – Es ist ihr anzusehen, daß sie ihr ganzes Leben hart gearbeitet hat. Auf ihrem von der Sonne gegerbten, faltigen Gesicht ist jedoch keine Spur von Verbitterung zu sehen. Ihre Augen sind wach. „Ich würde nicht einmal einer Schlange etwas antun und kann nicht zusehen, wenn mein Mann ein Lamm schlachtet. Wie soll ich mich dann darüber freuen, wenn Menschen sterben?“ Bosica M. ist Bäuerin auf der Halbinsel Pag an der dalamatinischen Küste, die, seitdem die Maslenica-Brücke durch den Krieg zerstört wurde, die einzige Verbindung zwischen Nord- und Südkroatien darstellt.

Seither rollen Lastwagen und Autos an ihrem Haus vorbei, soviele wie die Fähren, die zwischen der Halbinsel und dem Festland verkehren, tragen können. Denn die Küstenstraße gegenüber auf dem Festland war vor kurzem noch in serbischer Hand. Und die serbische Artillerie konnte auch ihr Dorf bedrohen. Dennoch ist Bosica M. nicht einmal erleichtert. Der Krieg ist ihr zuwider. „Früher haben wir alle gut und friedlich zusammengelebt.“

Noch 30 km sind es von hier zu der alten illyrischen, griechischen, römischen, venezianischen und dalmatinischen Stadt Zadar, die in ihrer 3000jährigen Geschichte schon viele Kriege erlebt hat. Auch jetzt, seit Herbst 1991, seit es den serbischen Streitkräften gelungen war, bis an den Stadtrand heranzukommen, sahen sich ihre Bewohner der geschichtlich allzu bekannten Zerstörungswut gegenüber. Artilleriegeschosse erreichten sogar noch am vergangenen Mittwoch Außenbezirke der Stadt, obwohl es doch den kroatischen Streitkräften vorher gelungen war, das Hinterland von den „Tschetniks zu säubern“.

Seit am vergangenen Wochenende die kroatische Gegenoffensive begann, könnten die Bewohner eigentlich erleichtert aufatmen. Immerhin wurde ein etwa 20 mal 20 km breiter Streifen mit 10 Dörfern von den kroatischen Streitkräften eingenommen. Doch noch traut niemand diesem Frieden so recht. Denn die Nachrichten von der Front waren auch in den letzten Tagen nicht gerade verheißungsvoll. Zwar versuchte das Oberkommando der Armee die eigenen Verluste herunterzuspielen, ein Blick in das Hospital und die Aussagen von Soldaten lassen jedoch etwas anderes vermuten: Dutzende von Verletzten und Gerüchte über mehr als 30 Tote haben die anfängliche Euphorie verfliegen lassen. Mit dem Sturm auf die von der UNO kontrollierten schweren Waffen ist es den Serben gelungen, ihre Artillerie wieder in Bewegung zu setzen. Seither ist vor allem das südöstlich gelegene Dorf Skabrnje unter Beschuß geraten und soll von Serben wieder eingenommen worden sein.

In der Richtung Skabrnje bietet die sanft geschwungene Landschaft weite Sicht. Am Flughafen zeugen die zerstörten Steinwälle um ehemalige Artilleriestellungen der Serben von der Härte der Kämpfe. Die Begleiter empfehlen, das Fahrzeug angesichts der überall verborgenen Minen nicht zu verlassen. In der Ferne sind die dumpfen Geräusche explodierender Geschosse zu hören. Ein Traktor fährt die Straße entlang, Wäsche hängt vor den Häusern, Kinder spielen Fußball auf der Straße. An der Fassade eines Bauernhauses in Galavac werden Renovierungsarbeiten ausgeführt, einige der Felder sind bereits gepfügt.

Im zurückeroberten Dorf Murvica herrscht dagegen gespenstische Stille. Ausgebrannte Fensterhöhlen, zerstörte Dächer und die Einschußlöcher in den Fassaden lassen ahnen, was hier passiert ist. In dem Dörfchen Brkos geht es nicht mehr weiter. „Zu gefährlich“, sagen die Begleiter. Daß das ehemals mehrheitlich von Serben bewohnte Dorf Skabrnje noch in kroatischer Hand ist, bleibt dennoch glaubhaft, denn ein Fernsehteam und zwei Fotoreporter dürfen dorthin fahren.

„Wir hätten das ganze Problem nicht, wenn nicht Tudjman den Befehl gegeben hätte, die Offensive zu stoppen“, sagt einer der kroatischen Soldaten. „Wir hatten die Anhöhe hinter Skabrnje schon in unserer Hand, mit dem Rückzugsbefehl haben wir sie wieder verloren. Und jetzt sind dort ihre Artilleriestellungen.“ Offensichtlich wollte die kroatische Führung die Grenze der „rosa Zone“, also jener Zone, die nach dem Waffenstillstandsabkommen im Herbst 1991 noch von den Serben erobert wurde, nicht überschreiten. „Zwei Tage waren wir dort eingegraben, sie haben uns mit Raketenwerfern beschossen, unser Kommandant wurde getötet. Und das nur, weil wir nicht vorwärts durften.“ Ein Offizier kommt und verbietet den Soldaten weiterzureden.

In einem Café im Zentrum Zadars lungern einige Soldaten der kroatischen Armee herum. Aus dem Radio dringt die Stimme des serbischen Senders der Krajina in Knin. Im Refrain eines Liedes heißt es, die kroatischen „Ustaschen“ kämen niemals bis nach Knin. Und der Nachrichtensprecher gibt bekannt, es habe bei den Kämpfen um Zadar Tausende Tote auf seiten der serbischen Zivilbevölkerung gegeben. „So eine Unverschämtheit, uns so etwas anzulasten“, sagt einer. „Ich war beim Kampf um Islam Grcko dabei. Wir haben die Bewohner aufgefordert, sich zu ergeben. Sie haben es nicht getan. Danach haben wir geschossen, 76 Tschetniks waren tot, 11 waren es auf unserer Seite.“ Waren auch Frauen und Kinder unter den Toten? „Ja, die sind während des Kampfes getötet worden. Aber danach niemand mehr, wir sind doch keine Mörder, die anderen Gegner wurden gefangengenommen.“ Überhaupt seien einige Tschetniks übergelaufen, 40 mindestens und ein Offizier.

„Wissen Sie, ich möchte am liebsten zu Hause bei meiner Familie sein. Der Krieg ist von anderen gemacht und wir sind das Futter,“ sagt ein anderer Soldat. Der etwa vierzigjährige Mann, der bei Skabrnje gekämpft hatte, heftet sich einen Friedensbutton meiner Begleiterin mit der Aufschrift „Ich bin gegen den Krieg“ an die Brust. „Wir sind keine Schlächter, unsere Männer haben serbischen Kindern ihre eigenen Jacken gegeben, damit sie nicht frieren.“ Die Kinder seien jetzt in der Stadt untergebracht. „Der Krieg ist völlig sinnlos. Die anderen kämpfen wie wir selbst auch nur um die Häuser, in denen sie geboren wurden.“ Er winkt müde ab. Früher hätte niemand gewußt, ob der Gegenüber Serbe oder Kroate ist. „Wir haben doch gut zusammengelebt. Als die Stadt beschossen wurde, saß meine Familie zusammen mit serbischen Nachbarn in deren Keller.“ Doch der Krieg läßt auch ihn nicht mehr los. Ein Militärtransporter ist vorgefahren. Für die Männer geht es wieder an die Front.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen