: Wann kapitulierte Hitlerdeutschland?
■ Karlshorst: Historiker erarbeiten neue Konzeption für das sowjetische Kapitulations-Museum/ Tabus der UdSSR-Geschichte werden aufgearbeitet
Berlin. 48 Jahre nach der Kapitulation Hitlerdeutschlands rätseln Wissenschaftler noch immer über den genauen Zeitpunkt dieses welthistorischen Akts. Galt bisher als sicher, daß die Urkunde um 22.17 Uhr Berliner Zeit unterzeichnet wurde, so kommen daran jetzt Zweifel auf, erklärte nun der Historiker Helmut Trotnow. Zumindest habe sich in den zugänglichen Archiven bisher keine Bestätigung dafür gefunden.
Der Projektleiter Gedenkstätten beim Deutschen Historischen Museum (DHM) ist Sekretär der im Frühjahr 1991 gebildeten zwölfköpfigen deutsch-russischen Expertenkommission, die sich im Auftrag der Bundesregierung und des Landes Berlin eine Position zur Zukunft des Kapitulationsmuseums im Lichtenberger Ortsteil Karlshorst nach dem Abzug der GUS-Truppen 1994 erarbeiten soll. In dem Haus in der Rheinsteinstraße wurde am 8. Mai 1945 das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa besiegelt. Der Raum, in dem die Siegermächte und der Vertreter des Oberkommandos der Wehrmacht das Dokument signierten, ist Teil des seit 1967 öffentlich zugänglichen Museums. Hatte sich die Kommission im Oktober 1992 bereits für den Erhalt der Einrichtung ausgesprochen, so werden jetzt Empfehlungen für dessen Umgestaltung erarbeitet. Die Konzeption soll nach Aussage Trotnows im Mai 1993 vorliegen, zwei Jahre vor der geplanten Fertigstellung anläßlich des 50. Jahrestages der Kapitulation.
Einig sind sich die Experten, darunter Militärhistoriker und Museumsfachleute beider Seiten, bereits über den künftigen „roten Faden“ des Museums. Im Unterschied zur bisher einseitigen Darstellung des Sieges der Roten Armee und der Leiden der sowjetischen Zivilbevölkerung soll die neue Ausstellung deutsch-sowjetische Geschichte dokumentieren. Mit Hilfe der nach und nach geöffneten Archive in Ost und West erhoffen sich die Wissenschaftler unter anderem näheren Aufschluß über die Historie des Gebäudes, die Konfrontationslinien im Zweiten Weltkrieg, deren Ursachen und Folgen. Auch Tabus der früheren sowjetischen Geschichtsschreibung, darunter der verhängnisvolle Hitler-Stalin-Pakt oder der Abdruck von Hitler-Reden in der Prawda, werden laut Trotnow in die Ausstellung eingehen. Nicht zuletzt soll Vermutungen nachgegangen werden, nach denen heftige Kontroversen der Alliierten noch am Tag der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde zu Verzögerungen geführt haben.
Die anfängliche Befürchtung einiger Zeitgenossen, daß die Geschichte nach dem Untergang des Sozialismus völlig neu geschrieben werde, sei mit diesem Verfahren „unbegründet“. Die Mitglieder der Kommission hätten trotz mancher Kommunikationsprobleme „erstaunlich schnell zu guter Kooperation“ gefunden, erklärte Trotnow.
Während des Umbaus werde versucht, das rund 2.000 Quadratmeter große Museum so weit wie möglich für Besucher offenzuhalten. Da die Bausubstanz des Gebäudes gut ist, werden an der „Hülle“ kaum Veränderungen vorgenommen. Programmatisch orientieren die Wissenschaftler auf ein Forum für die geschichtliche Diskussion mit Vorträgen und Seminaren. Denkbar wäre dabei auch die Mitarbeit von Historiker- Nachwuchs der GUS.
Träger der künftigen Einrichtung könnte nach Vorstellungen der Kommission ein privatrechtlicher Verein sein, in dem Deutsche und Vertreter der GUS-Staaten zusammenarbeiten. Ihm zur Seite sollte ein wissenschaftlicher Beirat stehen, der die Forschungen fortführt und die inhaltliche Arbeit des Museums begleitet. Die Förderkosten müßten sich beide Seiten teilen, wobei die Nachfolgestaaten der Sowjetunion ihren Beitrag leisten, indem sie dem Museum die rund 15.000 Ausstellungsstücke überlassen. Die endgültigen Entscheidungen darüber werden jedoch „auf höchster Ebene“ fallen. Christina Schultze/ADN
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