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Bizarre Reinigungswut

■ 140 Straßen wurden seit der Wende umbenannt - davon nur zwei im Westteil: Eine Elegie auf die Unbeständigkeit des Ruhms in der wiedervereinigten Hauptstadt

Ach wie einfach, wie unberührt von den politischen Zeitläuften würde sich die Straßenbenennung gestalten, wenn nur Zahlen, Buchstaben oder eine Kombination beider Verwendung fänden. Im nördlichen Manhattan und in Mannheim (einem Produkt absolutistischer Städteplanung) ist so verfahren worden. Das Problem ist bloß: Was an Klarheit und Dauer gewonnen wird, geht an Phantasieproduktion verloren. Nichts gegen die „235ste Straße“ oder die „Q4“, aber was vermögen sie gegenüber dem „Lustgarten“, dem „Gendarmenmarkt“, dem „Alex“ oder dem längst entschwundenen „Knie“? Unsere Einbildungskraft wird Schritt auf Schritt herausgefordert, wir identifizieren uns, sei es mit Abscheu, Wehmut oder Bewunderung, mit den Geschicken der Stadt.

Während im alten Preußen nur ab und zu ein königlicher Kabinetts-Ordre die Untertanen darauf hinwies, daß sie ab jetzt – beispielsweise – in der Königsberger Straße wohnten, entwickelten seit der Reichseinigung die Obrigkeiten größeren Ehrgeiz. Sie zielten auf Bewußtseinsbildung. Getreulich spiegeln daher die wechselnden Straßen- und Platzbenennungen dieses Jahrhunderts Aufstieg und Fall der Machteliten samt ihren volkspädagogischen Absichten. Der Reichskanzlerplatz wurde zum Adolf-Hitler-Platz, um nach einer kurzen Phase der Rückbenennung schließlich den Namen unseres ersten Bundespräsidenten zu tragen.

Die realsozialistischen Machthaber verfolgten mit ihrer Benennungspolitik in Berlin ein zweifaches Ziel: Der Erinnerung an den preußischen Militarismus sollte der Garaus gemacht, den Altvorderen der revolutionären Bewegung ein Denkmal gesetzt werden. Dafür eignete sich vorzüglich der Bezirk Berlin-Mitte. Sich selbst wollten die Vorkämpfer des Proletariats bei aller Bescheidenheit auch nicht ganz in Vergessenheit geraten lassen. Die SED-Führung war allerdings taktvoll genug, das Straßen-Angedenken ihrer treuen Kader vorzugsweise in die neuerbauten Stadtteile Hellersdorf und Marzahn zu verlegen.

Nach der Wende wäre es Aufgabe einer demokratischen Straßen-Benennungspolitik gewesen, umsichtig und unter Berücksichtigung dessen, was die „Anrainer“ meinen, die gröbsten Schandflecke aus dem Straßenverzeichnis in beiden Teilen Berlins zu tilgen. Aus der Zwischenbilanz der Umbenennungen, die das Luisenstädtische Institut kürzlich vorgelegt hat, geht aber hervor, daß im Westteil lediglich zwei Straßen umbenannt wurden: Herr von Schlieffen, der Militärstratege, mußte Bettina von Arnim weichen, der alldeutsch-antisemitische Historiker Schäfer dem republikanisch gesinnten Orientalisten Becker, in der Weimarer Republik Kultusminister. So erfreulich diese beiden Beispiele, so skandalös der Umstand, daß die Umbenennung des Seebergsteigs in Walter-Benjamin-Straße am Widerspruch der Einwohner ebenso scheiterte wie die Rückbenennung der Schellendorffstraße, die bis 1933 den Namen des geachteten jüdischen Bürgers Friedenthal trug.

In Berlin ist nach dem Straßengesetz die Benennung von Straßen und Plätzen Sache der Bezirke. Die Anwohner sind anzuhören, und es steht ihnen ein Widerspruchsrecht zu, das aufschiebende Wirkung hat. Mit Blick auf Ostberlin hat sich der Senat allerdings ausbedungen, daß „sowohl politisch wie sachlich bedeutsame Interessen des Landes Berlin an der Um- bzw. Rückbenennung (...) von übergeordneter Bedeutung sind“. Dies mit der mehrfach eingetretenen Folge des sofortigen Vollzugs. Das Ergebnis – über 60 Neu- und Umbenennungen zu Anfang 1993 – ist widersprüchlich. In Hellersdorf, Marzahn und Niederschönhausen haben Carola Neher, Ernst Bloch, Erich Kästner, Heinrich Gröber und Robert Havemann den Platz der SED-Heroen eingenommen – Entscheidungen, zu denen man die Bezirksväter und -mütter nur beglückwünschen kann. Einigen ausländischen Erz- Stalinisten wie Jacques Duclos oder Klement Gottwald wurden zu Recht die postalischen Weihen entzogen. Aber wie steht es mit Ho Chi Minh, der für die Generation der 68er in Berlin die Rolle des roten Großvaters spielte? Hätte nicht wenigstens zum Ausgleich eine Straße auf dem FU-Gelände seinen Namen tragen können? Warum wurde Gracchus Babeuf, der Märtyrer der Gleichheit in der Französischen Revolution, aus dem Verzeichnis gelöscht, aber Auguste Blanqui, durchaus zu Recht, in Ehren gehalten? Daß die Nachkriegsstalinisten der SED und ihr Blockflöten-Anhang nicht mehr die Straßen der Innenstadt verunzieren, ist recht und billig. Welcher Teufel hat aber den Verantwortlichen ins Ohr geflüstert, sie sollten die kommunistischen Widerstandskämpfer streichen, die Opfer des nazistischen Terrors wurden? Sie sind offenbar in Sippenhaft genommen worden – wie es auch dem Kommunisten Herrmann Duncker geschah, dessen antistalinistische Haltung außer Frage steht. Käthe Niederkirchner, die mutig mit dem Fallschirm über Deutschland absprang, will die Parlamentspräsidentin Laurien (CDU) nicht als Adresse des Abgeordnetenhauses akzeptieren. An Herbert Baum, auch er ein von den Nazis ermordeter Kommunist, hat man sich noch nicht herangetraut – offensichtlich schützt ihn seine und seiner Gruppe jüdische Herkunft. Einen besonders schäbigen Akt der Reinigungswut stellt die Umbenennung der Bersarin- Straße dar. Fiel ihr doch ein sowjetischer General zum Opfer, der in der kurzen Zeit seiner Arbeit als Stadtkommandant 1945 der Bevölkerung half, wo er konnte, und deshalb von ihr in gutem Andenken behalten wurde.

Aber noch hat die Umbenennungsdampfwalze nicht alles planiert. Solange der Weg des Autors dieser Zeilen allmorgendlich von der Hans-Beimler-Straße und der Wilhelm-Pieck-Straße in die Karl- Liebknecht-Straße führt, von dort Unter den Linden bis zur Friedrichstraße, um schließlich an der Ecke zur Kochstraße zu enden, besteht noch Hoffnung auf Straßenpluralismus. Zur Freude auch des Flaneurs, der an einer Ecke Kommunisten und Könige jäh aufeinanderprallen sieht und sich seine elegischen Gedanken macht. Christian Semler

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