: Selbstzerfleischung in der Quarantäne
Die Bilanz rechtsradikaler Parteien nach vier Jahren Politik in hessischen Gemeinderäten ist vernichtend: Grabenkämpfe und Fensterreden, bei denen niemand zuhört ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – Auf dem Höhepunkt des Golfkrieges Ende Januar 1991 brachte die NPD-Fraktion im Frankfurter Römer einen „richtungsweisenden“ (NPD) Antrag ein: Die irakische Hauptstadt Bagdad sollte neue Partnerstadt von Frankfurt am Main werden. Schließlich setze sich der Araber Saddam Hussein gegen eine Allianz aus israelischem und US-amerikanischem Judentum zur Wehr und halte die Fahne seiner Nation hoch.
Gehört hat diese Antragsbegründung im Römer (fast) kein Mensch. Denn die Mitglieder der anderen Fraktionen im Stadtparlament ziehen es vor, bei den hochnotpeinlichen Wortbeiträgen der Rechtsradikalen den Saal zu verlassen. Die von Multikulturdezernet Dany Cohn-Bendit (Die Grünen) nach den Kommunalwahlen 1989 vorgeschlagene und von den anderen Fraktionen stillscheigend akzeptierte Taktik der „formalen Gleichstellung“ der NPD-Fraktion bei gleichzeitigem Ausschluß vom normalen parlamentarischen Alltagsleben, zeitigte Früchte: Die sechs NPD-Abgeordneten schmorten vier Jahre lang im eigenen Saft. Und die gesamte Lokalpresse spielte mit.
Dabei gab es vor allem bei den Grünen durchaus Stimmen, die für die Publizierung der ohnehin seltenen Einlassungen der „Nationaldemokraten“ im Stadtparlament eintraten. Schließlich, so das Argument, diskreditiere die NPD-Abgeordneten keiner besser als die NPD-Abgeordneten selbst. „Die Opfer des rot-grünen Haushaltes sind die Kinder, deren Eltern mit städtischen Unterstützungsmitteln zur Abtreibung geraten wird... “ Das erklärte etwa NPD-Fraktionschef Winfried Krauß in der Haushaltsdebatte 1990. Und an anderer Stelle forderte der inzwischen zum NPD- Landeschef avancierte Krauß die Streichung aller Haushaltsmittel für die Integration von Ausländern. Als Nachteil der Nichtbeachtungsstrategie der demokratischen Parteien, so der Stadtverordnete Uli Baier von den Grünen, habe sich auch erwiesen, daß die NPD vor allem in den Ortsbeiräten unwidersprochen ihre „ekelhaften Statements“ gegen AusländerInnen und die Politik von Dany Cohn-Bendit – „Der Multi-Kulti-Mann und seine Schicki-Micki- Weiber“ (NPD) – vom Stapel lassen könne. Und das erwecke bei den ZuhörerInnen oft den Eindruck, als ob die demokratischen Parteien dazu nichts zu sagen hätten.
Doch bei allen Auseinandersetzungen um die richtige Taktik im Umgang mit den Neonazis: Die NPD kam durch eigene Eseleien und fraktionsintere Streitereien ohnehin voll unter die Räder. Zuerst mußte sich der ehrenamtliche NPD-Stadtrat Erich Gutjahr nach Verbalausfällen gegen Juden und den Bundespräsidenten aus dem Römer und aus der Partei verabschieden. Und kurz danach brach die Fraktion auseinander. Das „Zugpferd“ der Partei im Kommunalwahlkampf, die „braune Uschi“ Gerhold, verließ – zusammen mit ihrem Ehemann – die Fraktion, weil Chefagitator Krauß den neonazistischen Einpeitscher Marx aus dem Saarland zum Sprecher der Fraktion gekürt hatte. Die Gerholds haben inzwischen ihren eigenen Laden, eine braune FWG, aufgemacht, blockieren aber weiterhin die beiden NPD-Sitze im Stadtparlament. Selbst eingefleischten Parteigängern der „Nationaldemokraten“ ist klar, daß die „Republikaner“ (Reps) bei diesen Kommunalwahlen im Römer das Erbe der NPD antreten werden. Die NPD in Frankfurt – eine (fast) vergangene Geschichte.
Auch anderswo haben sich die Rechten nach knapp vier Jahren (meist unterbliebener) Parlamentsarbeit politisch genullt. In der hessischen NPD-Hochburg Wölfersheim etwa sitzen von einst sechs rechtsradikalen Gemeindevertretern nur noch ganze drei auf den Abgeordnetenstühlchen. Von den mit 17,5 Prozent der WählerInnenstimmen ausgestatteten NPDlern ist nur noch der Familienclan um den NPD-Kreisvorsitzenden Sachs übriggeblieben. In der deshalb seit 1989 spöttisch- despektierlich „Sachsenhausen“ genannten Kommune haben die BürgerInnen von der NPD die Nase inzwischen gestrichen voll, denn die diversen Versuche von Sachs und seinen letzten Getreuen, rechtradikale Größen – etwa den DVU-Vorsitzenden Frey – nach Wölfersheim zu holen, endeten alle mit massiven Gegendemonstrationen und mit Negativschlagzeilen en masse für die Gemeinde.
Fleißig selbst demontiert haben sich auch die Reps im Rheingau- Taunus-Kreis. Zum Entsetzen von Schönhuber hatte dort der Rep- Kreistagsabgeordnete Ernst Werner – einer der größten Ausländerhetzer – versucht, in Verhandlungen mit der Kreisregierung für ein in seinem Privatbesitz befindliches Haus, das er dem Kreis als Asylantenwohnheim angedient hatte, so viel Geld wie möglich herauszuschlagen. Werner mußte sein Mandat auf Drängen der Rep-Fraktion niederlegen, obleich es keinen Nachrücker für den Arzt gab. Zuvor hatten die Reps aus „internen Gründen“ nämlich schon ihren markigen Populisten Ingo Kreis, der mit dem „Tripper-Clipper“ nach Thailand gedüst war und so unentschuldigt eine wichtige Kreistagssitzung geschwänzt hatte, aus der Fraktion geschmissen – und damit war die Nachrückerliste erschöpft: die Reps im Rheingau- Taunus-Kreis – ausgeblutet mangels Masse.
Geprügelt haben sich die Reps im Wetterau-Kreis, in dessen Kreistag sie 1989 mit satten sieben Prozent eingezogen waren. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen legte der Fraktionsvorsitzende gar sein Mandat nieder und gab Schönhuber das Parteibuch zurück. Weitere Parteiaustritte und Mandatsniederlegungen waren die Folge. Und auch ein neuer Fraktionsvorsitzender gab nach wenigen Wochen entnervt auf. Ein als rüde geltender Fuhrunternehmer hat inzwischen in der Restfraktion und in der arg deziemierten Partei auf Kreisebene die Macht an sich gerissen.
Mit „großer Befriedigung“ registriert man bei Grünen und Sozialdemokraten in Wiesbaden den „gallopierenden hessenweiten Sitten- und Mandatsverfall“ bei den Rechten. All das, was gerade die Reps den etablierten Parteien im Wahlkampf 1989 vorgeworfen hätten – „Machtgeilheit, Pöstchengerangel und Selbstzentriertheit“ –, sei von NPD und Reps geradezu par exzellence praktiziert worden. Daß dennoch vor allem die Reps trotz aller Unfähigkeitsnachweise vom Mannheimer IPOS-Institut etwa in Frankfurt mit 6,1 Prozent gehandelt werden, ist für den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im hessischen Landtag, Rupert von Plottnitz, kein Widerspruch: Auf „schlichte Gemüter“ machten die von den Rechtsparteien angebotenen einfachen Rezepte eben immer noch Eindruck – „und schlichte Gemüter interessieren sich in den seltensten Fällen für Kommunalpolitik“.
Für ein „Spiel mit dem Feuer“ hält man bei Grünen und Sozialdemokraten in Wiesbaden auch die Versuche des sogenannten Petersberger Kreises innerhalb der hessischen Union, die CDU für „Republikanerthematik“ zu öffnen und laut über mögliche Bündnisse Reps/CDU auf der kommunalen Ebene nachzudenken. Das habe die Rechten in Hessen erst hoffähig gemacht. Doch auch die Sozialdemokraten sind nicht gegen die Versuchung gefeit, mit NPDlern anzubändeln, wenn's denn dem Machterhalt dienlich ist. Zum blanken Entsetzen etwa von Heidemarie Wieczorek-Zeul (MdB) oder dem Fraktionsführer im Landtag, Lothar Klemm, stimmte die SPD im Main-Kinzig-Kreis zusammen mit den NPD-Abgeordenten für ein Großmüllprojekt – gegen den erklärten Willen des grünen Koalitionspartners der SPD. Und nur dem Veto von Wieczorek-Zeul und Klemm war es zu verdanken, daß sich die Sozis nicht auch noch einen 1. Beigeordneten von NPDs Gnaden holten.
Die Hessenkommunalwahl 1993 – die einzige in diesem Jahr und die erste nach der Eskalation rechtsradikaler Gewalt in Deutschland – wird zeigen, ob sich die Malaise der Rechten in den Kommunalparlamenten auf deren Wahlergebnisse auswirken wird. Politstratege Rupert von Plottnitz ist da eher skeptisch: „Von antidemokratischen Parteien erwarten antidemokratische Wähler offenbar keine demokratische, sachbezogene Politik.“
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