: 50 Tage Mielke-Prozeß
■ Der erste Verteidiger schloß gestern sein Plädoyer auf Freispruch ab
Berlin (taz) – Am fünfzigsten Verhandlungstag beendete gestern der erste der drei Verteidiger von Erich Mielke sein Plädoyer. Sollte das Gericht nicht der Auffassung Hubert Dreylings folgen, daß die Tat vom 9. August 1931 auf dem Berliner Bülow-Platz, verjährt sei und eingestellt gehöre, so müßte Erich Mielke dennoch freigesprochen werden. Denn die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, so Hubert Dreyling vor der 23. Großen Strafkammer, daß Mielke tatsächlich einer derjenigen war, die damals die Polizisten Paul Anlauf und Franz Lenck erschossen haben.
Das gesamte Verfahren widerspreche – hier lag der Schwerpunkt seines Vortrags – jeder Rechtsstaatlichkeit. Es gebe keinen einzigen lebenden Tatzeugen mehr. Die Beweisführung habe sich wesentlich auf das bloße Verlesen von Protokollen aus den dreißiger Jahren beschränkt und damit das strafprozessuale Prinzip der „Unmittelbarkeit“ verletzt und die „mittelbare Beweisaufnahme“ zum Prinzip erhoben.
Darüber hinaus drang Dreyling darauf, daß das Gericht die Niederschriften des Hauptbelastungszeugen Johannes Broll für nicht verwertbar erachte. Dessen Aussagen seien nicht in rechtsstaatlicher Weise zustandegekommen. „Niemand kann heute noch belegen, ob Broll nicht vielleicht gefoltert wurde.“ Der Rechtsstaat sei durch die Nationalsozialisten bereits abgeschafft gewesen.
Wesentliche Beweise, auf die die Staatsanwaltschaft sich gestützt habe, seien darüber hinaus in sich widersprüchlich. So habe der damalige Zeuge Richard Willig, ein Polizist, der bei dem Anschlag lediglich verletzt wurde, von vier Tätern gesprochen, der Zeuge Johannes Broll aber, der die Tat beobachtet haben will, nur drei Personen ausgemacht. Die aufgefundenen Lebensläufe der Tatverdächtigen Erich Mielke und Erich Ziemer würden wiederum nur auf zwei Täter schließen lassen.
Fazit seines Schlußvortrags: „Ein Schuldspruch hätte weniger für Herrn Mielke, dem ohnehin nichts mehr anzutun ist, als vielmehr für unseren Rechtsstaat verhehrende Wirkung.“ ja
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