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„Roter“ Präsident auf dem Schleudersitz

■ Der Stuhl des internen Kritikers ärztlicher Pfründesiche- rung, des Berliner Ärztekammerpräsidenten Huber, wackelt

Der Niederlassungsstopp für Mediziner könnte auch einem ihrer exponiertesten Standesvertreter den Job kosten: Dr. Ellis Huber, erster und bisher einziger Ärztekammerpräsident aus dem linksalternativen Spektrum, einst Initiator des medizinkritischen Gesundheitstags und eloquenter Prediger für eine „andere Medizin“. Vor sechs Jahren war Huber zum obersten Repräsentanten der Berliner Ärzteschaft gewählt worden. Im Dezember 92 kündigte er – in einem Akt der Selbstüberschätzung – seinen Rücktritt an. „Wenn der Niederlassungsstopp nicht aufgehoben wird, bleibt mir keine andere Wahl als der Rücktritt“, erklärte Huber damals.

„Eine blödsinnige Drohung“, wie Huber-Unterstützer schimpfen. Und auch der „Präsident auf Selbstabruf“ mußte letzte Woche eingestehen: „Mit meiner Rücktrittsdrohung wollte ich Bewegung in die Diskussion der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bringen. Mit diesem Versuch bin ich kläglich gescheitert.“

Tatsächlich könnte die angekündigte Demission Hubers ein hämisch beklatschtes Eigentor werden. Denn der „rote“ Präsident ist vielen ein Dorn im Auge. Mit seinem höflich-verbindlichen Auftreten, seiner Gesprächsbereitschaft nach allen Seiten und seinem Engagement hat Huber in der Vergangenheit zwar die erzkonservative Ärzteschaft oftmals um ihr Feindbild gebracht. Doch was der Berliner Kammerpräsident seinen Kollegen da so samtpfötig unter die Nase rieb, das ließ vielen Standesfunktionären den Blutdruck in gefährliche Sphären schnellen: Legalisierung von Haschisch, Offenlegung von Pfusch und Absahnertum innerhalb der eigenen Zunft, Kampf der Pharmaindustrie.

Vertrauensfrage am 17. Februar

Als Huber dann – im Einklang mit dem Vorstand der Berliner Ärztekammer – weite Teile des Seehoferschen Gesetzes als „Chance“ begrüßte und das Wehgeschrei der Ärzte als Lobbypolitik zur Sicherung der eigenen Pfründe kritisierte, war das Faß übergelaufen. „Nestbeschmutzer“, „Dolchstoß“ schimpften die etablierten Ärzteorganisationen und kommentierten schadenfroh, daß der „rote“ Präsident eingestehen mußte, die Dramatik des verhängten Niederlassungsstopps zu spät erkannt zu haben.

Als Huber Ende vergangener Woche auf einer Kammerversammlung zum Rednerpult schritt, wurde er denn auch von einem Teil der 600 Anwesenden mit Buhrufen empfangen. Daß er durchaus Alternativen zum Niederlassungsstopp sieht, wenn niedergelassene Mediziner und Kassenärztliche Vereinigung zum Umverteilen des üppigen Honorartopfs bereit wären, wollten viele gar nicht hören. „Traumtänzer“, „Wunderheiler“ höhnte es aus dem Auditorium. Und Hubers standespolitische Gegenspieler, allen voran die Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung, heizten diese Stimmung kräftig an. Einer, der wie Huber „die Seehofer-Suppe kräftig gesalzen hat“, müsse zurücktreten, „wenn er nur noch eine Spur von Charakter hat“.

Huber wird seinen Rücktritt nicht zur Charakter-, sondern zur Vertrauensfrage machen. Sprechen die Delegierten der Kammer ihm am 17. Februar das Vertrauen aus, dann will der linksalternative Präsident bleiben. Wenn allerdings die jüngste Ärzteversammlung ein Stimmungsbarometer war, dann wackelt sein Stuhl bedrohlich. Die stärkste Ärzteliste in der Kammer steht zwar geschlossen hinter Huber. Das Zünglein an der Waage werden aber die Delegierten aus dem Ostteil der Stadt sein. Vera Gaserow

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