: „In Zagreb ist man den Opfern am nächsten“
■ Interview mit Bosiljka Schedlich, Geschäftsführerin des Berliner Zentrums „Süd Ost Europa Kultur“, zum geplanten internationalen Frauentribunal in Zagreb
taz: Frau Schedlich, welches Resümee haben Sie aus dem Hannoveraner Vorbereitungstreffen zu dem Tribunal in Zagreb gezogen?
Bosiljka Schedlich: Ich war entsetzt über die Störungen von seiten einiger organisierter Serbinnen. Das hat uns daran gehindert, über das eigentliche Thema zu sprechen: über die Folgen der Vergewaltigungen. Die meiste Zeit ging es um die Empfindlichkeiten der serbischen Frauen, die uns unterstellten, wir hätten sie als Opfer nicht berücksichtigt. Dennoch wäre es dumm und gefährlich, den Serbinnen Schuld zuzuweisen.
Besteht nicht die Gefahr, daß das Tribunal in Zagreb den dortigen Nationalisten zu Propagandazwecken dient?
Ich sehe diese Gefahr nicht. Niemand in Zagreb hat sich um diese Veranstaltung gerissen. Sowohl die Regierung als auch die Frauengruppen sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß sie sich für die Veranstaltung engagieren könnten. Die kroatischen Frauen sehen sich mit der Organisation eines solchen Tribunals völlig überfordert – einfach weil die Not dort so groß ist. Die Industrie ist zerstört, alles ist lahmgelegt, ein Drittel des Landes ist besetzt, es gibt unter den weniger als fünf Millionen Einwohnern über 750.000 Flüchtlinge. Die Belastung gerade der engagierten Frauen ist ungeheuer groß. Und dann sagen ihnen irgendwelche ausländischen Frauen, im Krieg trügen alle gleich viel Schuld, oder zweifeln daran, daß ihre Spenden richtig verwendet würden. Inzwischen aber haben die Kroatinnen verstanden, daß sie die Veranstaltung nicht selbst organisieren müssen, sondern daß sie Ausdruck der Wut der internationalen Frauenbewegung ist, ausgelöst durch die Berichte über die Massenvergewaltigungen.
Haben Sie in Hannover nicht selbst gewarnt, die Frauen dort kämen sich langsam wie die Affen im Zoo vor?
Das bezog sich nicht auf die Veranstaltung, sondern auf die unzähligen internationalen Delegationen und Journalistentrupps, die Zagreb heimsuchen. Ich finde den Standort Zagreb nach wie vor gut– schon deshalb, weil man dort den Opfern am nächsten ist. Im übrigen: wo sonst? Nach Bosnien kommt man ohne Gefahr für das Leben nicht hinein.
Aber Serbinnen und Bosniakinnen kommen nur mit einem Visum nach Zagreb.
Das ist wahr. Aber diese Veranstaltung will sich ja auch aus den nationalistischen Konflikten heraushalten. Es geht darum, daß prominente Frauen aus West und Ost dort lauthals fordern, daß Vergewaltigungen einerseits als Kriegsverbrechen vor einem internationalen Gerichtshof verfolgt und andererseits als Asylgrund anerkannt werden.
Was kann man von hier aus tun, um die vergewaltigten Frauen zu unterstützen? Was tut Ihr Zentrum?
Wir haben hier in Berlin von Anfang an das Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen gefördert. Immer mehr Leute kommen hierher und sind erleichtert, wenn sie merken, daß hier nicht der Haß regiert, alle willkommen sind. Vor allem versuchen wir, die Flüchtlinge zu unterstützen, die unter den Folgen von Folter und Vergewaltigung leiden. Fast alle geraten sie nach einer kurzen Zeit der Erholung in eine tiefe psychische Krise. Das erfordert eine psychosoziale Betreuung in der Muttersprache – auch der Kinder. Andernfalls werden sie auch hier das Gefühl nicht los, daß der Schrecken jeden Moment wieder beginnen kann.
Wollen Sie ein Zentrum für vergewaltigte Frauen aufbauen?
Wir denken eher an eine Unterstützung der Frauen vor Ort. Die meisten Frauen halten sich mit dem Eingeständnis, daß sie vergewaltigt worden sind, zurück. Deshalb muß man Möglichkeiten schaffen, die ihnen das Gefühl geben, das Leben wieder als lebenswert zu empfinden. Denn sehr viele sind selbstmordgefährdet. Auch haben wir die Gründung eines Instituts im Auge, wo Frauen aus der ganzen Welt ausgebildet werden für die Arbeit mit weiblichen Opfern von Gewalttaten. Darüber hinaus liegt uns die stille Arbeit vor Ort am Herzen – mit den vorhandenen Frauenprojekten und Krankenhäusern in allen Teilen Exjugoslawiens. Wir wollen eine seriöse Vernetzung bestehender Einrichtungen erreichen – durch die Gründung einer Stiftung. Damit sollen die Projekte vor Ort gefördert und die Kinder versorgt werden, die demnächst geboren werden.
Bisher aber scheint kaum eines der angedachten Projekte in Kroatien und erst recht in Bosnien in der Realisierungsphase zu stecken.
Das ist ein Prozeß, in dem zunächst alle überfordert sind. Deswegen denken wir auch, daß die Frauen, die für einen Tag ohne Gepäck nach Zagreb fahren, so viel Hilfsgüter wie möglich mitnehmen sollten: Schlafsäcke, Schmerz- und Vitamintabletten, Pflaster, Babywindeln, Seife, Kaffee, Milchpulver, Hefte und Bleistifte für die Kinder. Karin Flothmann/Ute Scheub
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