: Mit allen Mitteln für Groß-Äthiopien
■ Die kommende Unabhängigkeit Eritreas sorgt in Äthiopien für ethnischen Zündstoff/ Das frühere Herrschaftsvolk der Amharen will die Sezession verhindern
Addis Abeba (taz) – Ursprünglich sollte es ein Charity Concert werden, direkt im Nationalstadion der Hauptstadt Äthiopiens, nur wenige Meter von jenem Gebäude entfernt, in dem die Vertreter der Noch-Provinz Eritrea residieren. Doch die Organisatoren hatten wohl etwas ganz anderes im Sinne. Mit Sprechchören attackierten sie nicht nur anwesende Mitglieder der Regierung als „Ausverkäufer der Nation“, sondern versuchten auch, die anwesenden, wie üblich hochbewaffneten Ordnungskräfte derart zu provozieren, daß diese losschießen würden.
Doch die woyanes (Neinsager), wie man die heutigen Sicherheitskräfte und einstigen Guerilleros aus der Bergprovinz Tigre nennt, ließen sich auch durch die Aufforderung, doch „nach Hause in den Busch“ zu gehen, nicht beirren. Das von den amharischen Anheizern, vornehmlich aus dem Umfeld der Universität, geradezu herbeigewünschte Blutbad blieb aus. Die groß-äthiopischen Chauvinisten geben so leicht nicht auf. Im April will die Provinz Eritrea, die sich vor anderthalb Jahren von der äthiopischen Herrschaft befreite, ein Referendum abhalten und dann wohl die Unabhängigkeit erklären. Die äthiopischen Nationalisten wollen Eritrea aber auch nach 30 Jahren eines mörderischen Krieges weiter „heim ins Reich“ führen. So jene – zur winzigen akademischen Bourgeoisie gehörende – Clique unter Anführung des früheren kaiserlichen Arztes Dr. Asrate, die sich die „All-Amharische Volksorganisation“ (AAPO) nennt. Diese ebenfalls an der Universität von Addis Abeba beheimatete Gruppierung hat es seit der Vertreibung des amharisch-kommunistischen Diktators Mengistu im Jahre 1991 nicht verwunden, daß die neue Regierung sie nicht mit zur Führung der äthiopischen Staatsgeschäfte berufen hat. Ihre einer ungewissen Zukunft entgegensehenden Studenten läßt sie bei ihren Veranstaltungen rufen, daß „die Bauernjungs aus Tigre in den Busch zurückgehen sollen, wo sie hingehören“.
Da die Veranstaltung im Stadion nicht den gewünschten Effekt brachte, versuchten sie es Anfang Januar anläßlich des Besuches von UNO-Generalsekretär Butros Ghali mit einer öffentlichen Demonstration aus dem Universitätsgelände heraus. Da Ghali bei seiner Reise durch das Horn von Afrika auch einen Kurzbesuch in Eritrea plante, wollten die Amharen dem „arabischen Verräter Ghali“ einheizen: dieses Mal in seltsamem Zusammentun mit der oppositionellen Oromo Liberation Front (OLF). Nach in Addis umgehenden Gerüchten soll OLF-Führer Leencho den All-Amharen versichert haben, sie riskierten nichts, weil seine Organisation „400.000 Oromos“ auf die Beine bringen würde. Die kamen nicht, allein einige hundert Studenten machten einen Demonstrationsversuch und gerieten mit der Polizei aneinander. Nach offiziellen Angaben kam ein Student zu Tode, nach Angaben aus dem studentisch-amharischen Bereich ein halbes Dutzend.
Nun verlangten die Studenten die Freilassung ihrer festgenommenen Führer. Die Regierung ihrerseits beschloß, die höheren Lehranstalten bis April zu schließen. So verließen am 18. Januar die Studenten zu Hunderten mit Plastiksäcken ihren Campus und werden wohl ein Lehrjahr verlieren, weil wenige Tage später eigentlich Prüfungen anstanden. Nicht daß dem Land dadurch ein wesentlicher Verlust entstanden ist – das Uni-Wissen nutzt dem Äthiopien der 50 Millionen, deren große Mehrheit ein kärgliches Überleben als Viehzüchter oder Bauer fristet, wenig, und die Regierung ist gerade dabei, die hoffnungslos überbesetzte Staatsverwaltung, in der Uni-Absolventen bislang eine garantierte Anstellung fanden, zu schrumpfen. Eine totale Reform des Bildungswesens tut not.
Inzwischen versuchen es die All-Amharen auch mit anderen Mitteln. So hetzt die AAPO inzwischen die Bevölkerung der Hauptstadt dazu auf, Geschäfte, Restaurants und Handwerksbetriebe im Besitz von Bürgern eritreischer Herkunft zu boykottieren. Der Boykott soll bereits einigermaßen erfolgreich sein.
Der Appell des Präsidenten Meles Zenawi, dem Referendum gelassen entgegenzusehen, scheint wenig Gehör zu finden. Seine Regierung besitze „kein Mandat, um diese Entscheidung herbeizuführen“, wurde Zenawi unlängst in einer Pressekonferenz vorgeworfen. Auf die Frage, ob man die im Lande verbleibenden Eritreer nach der Unabhängigkeit Eritreas nicht „als Bürger zweiter Klasse“ behandeln müsse, blieb ihm nur die Antwort, „ob man sich denn eine menschliche Katastrophe wie bei der Aufteilung des indischen Subkontinents in Indien und Pakistan“ wünsche. Der demokratische Neuanfang in Äthiopien läßt sich schwer an. Gerd Meuer
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