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Keine Ruhe für den Filz vom Leinpfad

■ Wegen Kandidaten-Mauscheleien der Hamburger CDU stehen jetzt alle Parteien auf dem Verfassungsgerichts-Prüfstand

der Hamburger CDU stehen jetzt alle Parteien auf dem Verfassungsgerichts-Prüfstand

Ihren Rebellen Markus Wegner hat die Hamburger CDU zwar jüngst geschaßt (die taz berichtete), aber ihr Problem mit den demokratischen Spielregeln hat sich die Partei erhalten. Nachdem ihr oberstes Parteigericht in Bonn den ersten Rausschmiß Wegners aufgehoben hatte, weil ihm kein rechtliches Gehör gewährt wurde, bezeichnet das unbequeme Noch-Mitglied auch den neuerlichen Ausschluß als „abgekartetes Spiel“. Der sei schlicht verkündet worden, ohne daß das Parteigericht überhaupt zusammengetreten sei. Einer der Beisitzer befinde sich übrigens schon seit Wochen auf Reisen.

So wird sich das CDU-Bundesparteigericht, das Wegner nun erneut anruft, weiterhin um Schadensbegrenzung bemühen müssen. Der Dauerclinch mit dem Mitbegründer der überparteilichen „Vereinigung Demokratische Offenheit — DemO“ geht ans Eingemachte.

Erst im August letzten Jahres mußten die Bonner CDU-Richter dem Kritiker der geschlossenen Gesellschaft am Leinpfad und ihrer Mauschelmethoden bei Vertreterwahlen recht geben: „Wird faktisch ausgeschlossen, daß ein von der Parteiführung nicht vorbestimmter Bewerber die Mehrheit erlangen kann, ist das Gebot der innerparteilichen Demokratie verletzt.“

Bei der zur Zeit noch rund 13000 Mitglieder zählenden Hamburger CDU geht das so: Für die 246 benötigten Delegierten fabriziert der Landesvorstand eine Liste mit exakt 246 Namen — und zwar über Jahre und Legislaturperioden hinweg zu 98 Prozent dieselben. Nur rund 50 davon gehören Mitgliedern ohne nennenswerte Posten. Alle anderen, darunter sämtliche CDU-Lokalmatadore von Jürgen Echternach bis Martin Willich, sind — meist seit vielen Jahren — Abgeordnete im Bundestag, der Bürgerschaft, in den Bezirksparlamenten, Kreis- oder Ortsvorsitzende, Deputierte oder mit Funktionsträgern verwandt oder verheiratet. Zu Delegiertenwahlen erscheinen kaum mehr als 300 Mitglieder: die auf der Liste plus Freunde, Verwandte und Bekannte.

Mit anderen Worten: Die Mitgliedervertreter wählen sich selber. Und das gleich en bloc. Bei der Kandidatennominierung für Parlamentswahlen und bei der Festlegung ihrer Rangfolge für Direkt- und Listenmandate wiederholt sich dieses Ritual nach den Vorgaben des inneren Kreises.

Von demokratischer Wahl könne keine Rede sein, rügte das Bonner Parteigericht, höchstens von Akklamation. Die aber verletze nicht nur das Hamburger und das Bundeswahlgesetz, sondern auch das Demokratiegebot in Artikel 21 der Verfassung.

1Die Gesetze verlangen obendrein eine klare Entmischung: Wenn die Kandidaten, die in ein Parlament gewählt werden wollen, schon nicht von der Basis aufgestellt werden, sondern von Delegierten, dann dürfen diese nicht die gleichen Personen sein, die auch sonst für die Mitgliederbasis agieren.

Die Hamburger CDU macht „über Jahrzehnte“ das Gegenteil — ganz ohne Unrechtsbewußtsein. In einer Mitgliederversammlung, so CDU-Fraktionschef Rolf Kruse stolz in einem Interview, werde ausdrücklich gefragt, „ob diese 246 Landesdelegierten in derselben Zusammensetzung auch die Kandidatenliste für die Parlamentswahl aufstellen sollen“, und „fast alle Mitglieder“ fänden das „vernünftig“. Kruse ist Bürgerschaftsabgeordneter seit 1978, deshalb immer auch Kandidat und einer der 246 „Vertreter“. 1986/7 ist er Mitglied des Verfassungsausschusses und hat als Bürgerschaftsvizepräsident Senat, SPD-Spitze und deren damaligem Fraktionschef Dr. Henning Voscherau beim Senatoren- und Fraktionsvorsitzenden-Versorgungscoup geholfen.

Kandidatenvorschläge „von unten“ waren bei der CDU bis Anfang der 80er Jahre ausgeschlossen. Inzwischen sieht die Satzung immerhin vor, daß andere Aspiranten ins Gespräch gebracht werden dürfen — allerdings erst, nachdem zweimal über den „Vorstandsvorschlag“ abgestimmt wurde.

Schiefgehen kann da nichts. Oder doch fast nichts: Nachdem vor etwa 20 Jahren der Ex-Bundestagsabgeordnete Gerhard Orgaß wider den Stachel gelöckt und dabei das Nachsehen hatte, versuchte es vor der letzten Bundestagswahl der Kleinverleger Markus Wegner — und erzielte in Altona gegen den einst übermächtigen Parteivorsitzenden Jürgen Echternach auf Anhieb einen Achtungserfolg von 25 Prozent der Delegiertenstimmen.

Daß Wegner damals gerade drei Minuten zur Vorstellung seiner Kandidatur zugestanden worden waren, obwohl keinerlei Zeitnot herrschte, trug der hanseatischen CDU eine weitere Rüge ihres obersten Parteigerichts ein.

Im September beriet das CDU- interne Richtergremium erneut über den Hamburger Klüngel, der nur zu gern populistisch mit dem Finger auf den SPD- und Regierungsfilz an der Elbe zeigt. Diesmal ging es um Majorisierung von Abstimmungen durch plötzliches Aufbieten nicht ortsansässiger CDUler. Wegner, der zusammen mit dem Politologen Professor Winfried Steffani bereits im Herbst 1989 gegen diese Praxis geklagt hatte, schätzt, daß nahezu 20 Prozent der CDU-Mitglieder gar nicht in Hamburg, teilweise sogar im Ausland wohnen, und daß bei wichtigen Vorgängen schon bis zu 50 Prozent „fremde“ CDUler die Hand gehoben haben. Zweiflern werde der Einblick in die Mitglieder-Adreßliste jedoch strikt verweigert.

Dabei soll es allerdings bleiben, entschieden die Parteirichter, sie beriefen sich auf den Datenschutz. Der aber, so Professor Steffani, CDU-Mitglied seit 1955, „wird von dieser Parteiobrigkeit mißbraucht, um ihre Herrschaft zu sichern“. Aus Protest trat der Politikwissenschaftler, der der Hamburger Enquete-Kommission für eine Parlamentsreform angehörte, im vergangenen Herbst aus der Union aus.

Für die Masche mit den künstlich organisierten Mehrheiten interessiert sich nun das Bundesverfassungsgericht. Veranlaßt durch die Wahlprüfungsbeschwerde, die Wegner zusammen mit den CDU- Mitgliedern Hans Schirren und Dr. Helmut Stubbe-da Luz erhob, durchleuchtet es jetzt bei allen Parteien, auf welche Weise die Abgeordneten zu ihren Posten gekommen sind. Die zweite Frage an alle lautet, „wie in Ihren Parteigliederungen die Einladungen zu Mitgliederversammlungen gehandhabt werden und inwieweit hierzu auch Parteimitglieder eingeladen worden sind, die im betreffenden Wahlkreis nicht organisiert sind“. (Az: 2 BV 2/91). Der CDU fiel die Antwort offenbar schwer, sie bat Karlsruhe zweimal um Fristverlängerung.

Daß die Verfassungsrichter die Parteien jetzt so genau unter die Lupe nehmen, darf nicht wundern, die CDU am allerwenigsten: In Bonn wie in Hamburg wirkten unter anderen auch die CDU-Justitiare Peter Scheib und Ole von Beust in den Wahlausschüssen, die über die demokratische Nominierung der Wahlkandidaten zu wachen haben. In Hamburg hat Ole von Beust, Rechtsanwalt, Bürgerschaftsabgeordneter und seit 1978 „246er“, schriftlich geäußerte Bedenken der Innenbehörde gegen die 246-Block-Methode bei der CDU in den Wind geschlagen. Eine deshalb zu erwartende Wahlanfechtung wurde in Kauf genommen. Daß sie prompt kam, ebenso wie eine zweite, aus gleichen Gründen, nach der Bürgerschaftswahl vom 2. Juni 1991, wird nun dem Demokratieverfechter Wegner als Parteischädigung vorgeworfen. CDU- Anklagevertreter: Ole von Beust.

Selbst das Hamburgische Verfassungsgericht mußte eine Filz-Denkpause einlegen. Gehören ihm doch als CDU-Proporz-Richter Dr. Jürgen Gündisch und Professor Werner Thieme an. Gündisch ist langjähriger Vorsitzender der 246er- Versammlung und Mitglied des Hamburger Wahlausschusses. Und Thieme hatte Wegner 1989 schon gesagt, daß er von Wahlprüfungen nichts halte, denn es sei „sinnlos, einer Hydra den Kopf abzuschlagen“. Grund genug für Wegner-Anwalt Trutz Graf Kerssenbrock, Gündisch und Thieme wegen Befangenheit abzulehnen, und für Verfassungsgerichtspräsident Dr. Helmut Plambek, die beiden aus dem Verfahren abzuziehen.

In der Bundeshauptstadt hatte CDU-Justitiar Scheib Beschwerden über Hamburger Satzungsmängel abgebürstet, während die CDU- Mehrheit im Bonner Wahlprüfungsausschuß und im Bundestag mit Wahlbeschwerden das gleiche tat — und damit das Karlsruher Grundsatzverfahren heraufbeschwor, das nun die Ungültigkeit der letzten Wahlen in Bonn und Hamburg nach sich ziehen kann.

Zwar ist der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts wegen mehrerer Bonner Politik-Mängel in Terminnot, „aber wir wollen nicht warten, bis sich die Sache von selbst erledigt hat“, so BVG-Mitarbeiter Dr. Kapser. „Ich gehe sicher davon aus, daß vor den nächsten Wahlen entschieden wird.“ Und auch beim Hamburgischen Verfassungsgericht ist damit bis Jahresmitte zu rechnen. Ulla Küspert

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