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Nachschlag

■ „Fetzen Paradies“: Isabella Mamatis im Ratibortheater

Gieselherr ist nicht aus Honig. Else, die Zauberin, hat umsonst Angst gehabt, daß er aufgeschleckt werden könnte. Sie streichelt ihm erleichtert über den Kopf, von ganz oben herunter, hebt ihn hoch – und bleibt nicht kleben.

Gieselherr ist nicht eßbar – leider aber auch nicht echt. Else steht allein auf der Welt: Vater und Mutter sind tot, ihren Freund Franz, den blauen Reiter, sieht man nicht. Den Gieselherr eigentlich auch nicht; nur hat sich Else die Gestalt eines Spielzeugbären aus Blech für ihn ausgedacht. Sein vollständiger Name: Doktor Gottfried Gieselherr Benn.

Else liebt ihn und verkündet es strahlend. Glücklich ist sie trotzdem nicht: „Er hat ein Loch in mein Herz gebohrt. Das blutet nicht, das steht offen wie ein ausgelaufenes Auge.“ Das ficht sie nicht an; zwei Männer haben schon vorher vergeblich versucht, sie zu verschleißen. Herwarth, der zweite, nahm sich eine andere; der erste war noch schlimmer, der ließ sie „über Nägel geh'n, Nägel geh'n, Nägel geh'n“: Else tröstet sich mit leisem Singsang.

Isabella Mamatis hat Lasker-Schüler-Texte zu einer Collage zusammengestellt. Sie spielt das Stück schon seit fünf Jahren, immer mal wieder; jetzt beschließt sie damit die Gastspielreihe „Bühnenfrauen“ am Kreuzberger Ratibortheater. Die Schauspielerin möbliert ihre Bühne spärlich: zwei Stühle, ein siebenarmiger Leuchter, eine runde, zerbeulte Mülltonne. Das genügt für die Ausstattung von Elses Spelunke, die gleichzeitig Krönungssaal von Theben ist, mit der Tonne als Thron.

Mamatis verwandelt sich ständig, gleich den Figuren in Lasker-Schülers Büchern (nicht zu verwechseln mit der Dichterin selbst): Else, Jussuf, Prinz und Kaiser, streift eilig umher und bleibt doch immer nur in ihrer Höhle. Die Zauberin lächelt – sie geht „mit dem Wetter parallel“, wenn die Sonne scheint; sie bestimmt selbst, wann der Tag aufhört und sehnt sich danach, das Volk von Theben zu regieren. Ihr eigenes ist weit weg und längst verloren – „der Fels ist morsch, dem ich entspringe“, schreit sie und trommelt ausgiebig auf den Blechthron.

Brechts stumme Kattrin konnte damit im Bauernkrieg noch etwas ausrichten, dem Volk der Zauberin hilft es nichts mehr. Else sieht es ein, kriegt einen krummen Rücken und verlegt sich aufs Spotten. Eine Kerze nach der andern löscht sie mit zwei Fingern und Spucke, jedes Mal ist ein Tag zu Ende. Oder ein Jahr? Oder zehn? Man weiß es nicht genau, ebensowenig, ob die Alte auf der Bühne vielleicht gar nicht Else heißt. Möglich wäre es schon – Isabella Mamatis hat die ganze Welt in einer misanthropischen Figur auf die Bühne geholt: vage, geheimnisvoll. Friederike Freier

„Fetzen Paradies“. Mit Isabella Mamatis nach Texten von Else Lasker-Schüler, Regie: Ilona Zarypow.

Noch bis Sonntag jeweils 20 Uhr im Ratibortheater, Cuvrystraße 21, Kreuzberg

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