: Vandalismus oder Demokratie?
■ betr.: "Die Scheiben klirrten wegen eines Mordes", (Ein Autonomer zur nächtlichen Scherbenaktion auf der Frankfurter Allee), taz vom 26.1.93
betr.: „Die Scheiben klirrten wegen eines Mordes“, (Ein Autonomer zur nächtlichen Scherbenaktion auf der Frankfurter Allee), taz vom 26.1.93
[...] Bei dieser an den Haaren herbeigeholten fadenscheinigen Rechtfertigung für diesen Vandalismus sträuben sich mir die Haare. Unter dem Deckmantel des Antifaschismus lassen sich in der jüngsten deutschen Geschichte viele Untaten verstecken. Es war aus heutiger Sicht ein Fehler vieler ehrlicher Antifaschisten, den Verursachern nicht in den Arm gefallen zu sein und sie in die Wüste zu schicken. So zum Beispiel die Unterdrückung eines Arbeiteraufstands im Juni 1953. Die Errichtung einer widerlichen Grenze mit Beton, Elektrozäunen, Minen, Stacheldraht und Maschinengewehren, die mehr als 200 Tote auf beiden Seiten forderte. Die Zerstörung der Umwelt in so einem Maße, daß unsere Urenkel daran noch arbeiten werden müssen. Der Ruin einer Wirtschaft, für die heute Millionen Menschen die Lasten tragen müssen, und zuletzt die Diskreditierung einer Idee, die sich Sozialismus nannte, und bei allen ihren Fehlern die Verteilung der geschaffenen Werte gerechter vornahm. Neuerdings soll aus der Lesart der autonomen Szene auch der Antifaschimus dazu dienen, Vandalismus und blinde Zerstörungswut in allen seinen Spielarten, die wir in Friedrichshain zur Genüge kennen, zu erklären. Dazu gehört auch der Angriff mit Steinen und Eiern auf den Bundespräsidenten am 8. November des vergangenen Jahres, einem Demokraten und Antifaschisten, dessen Ansehen in der Welt uns allen zur Ehre gereicht. Bei allen diesen Ungereimtheiten stellt sich die Frage: Wer bezahlt die Zeche für diese Untaten? Wir alle, wir, das Volk. Die, die 40 Jahre belogen, betrogen und verhöhnt wurden, werden heute dafür zur Kasse gebeten. Die „Antifaschisten“ sonnen sich in Chile, schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, schreiben Bücher (Schabowski, Sudel- Schnitzler und Przibylski) oder veröffentlichen für Summen, die ein anständiger Arbeiter in seinem Arbeitsleben nicht erhält, ihre Memoiren in der Bild-Zeitung. Übrigens, für die eingeschlagenen Schaufenster, für zerstörte Autos und Baumaschinen auf der Oberbaumbrücke und für alle Eure „Heldentaten“ unter dem Deckmantel des „Antifaschismus“ wird letzten Endes die Versicherung bezahlen. Dafür dürfen wir alle die höheren Versicherungsprämien zahlen. Faschismus ist die verachtungswürdigste Form einer Diktatur, die über 50 Millionen Tote auf dem Gewissen hat. Faschismus steht für Menschenverachtung, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Vandalismus und Krieg. Er wurde 1945 von den Alliierten zerschlagen. Wir, das deutsche Volk, die nicht aus eigener Kraft dazu in der Lage waren, haben heute die Pflicht, jedem neuen Aufkeimen zu begegnen. Die Alternative zum Faschismus (und auch zum Stalinismus) ist unsere heutige Demokratie. Sie ist an vielen Stellen noch unvollkommen und nicht immer effizient und bürgerfreundlich. Aber es liegt an uns allen, sie mit Anstand, mit Ideen und Parlamentarismus ständig zu verbessern und sie zu einer wahren Herrschaft des Volkes zu gestalten. Wenn wir alle, auch Ihr „Autonomen“, unsere Demokratie wie unseren Augapfel hüten, hat der Faschismus in Deutschland keine Chance. Helios Mendiburu, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain
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