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HONKS! Von Michaela Schießl

Was wollen Sie in Hamburg? Den Hafen sehen? Huren angucken, Heavy-Metal-Konzerte anlaufen? Bißchen hanseatische Industrieromantik um die Nase wehen lassen und an Pfeffersäcken riechen? Nett, wirklich nett. Nur nicht halb so aufwühlend wie das, was Hamburg wirklich bietet. Am Wochenende nämlich, und nur am Wochenende, versammelt sich rund um die Reeperbahn ein bislang völlig unerforschter Volksstamm: Honks. Die Original-Honks, so versichert uns unser versierter Szene-Scout mit einem Schaudern, kommen entgegen allen Vermutungen nicht aus Hongkong, sondern aus Pinneberg. Wer die Honks kennt, bettelt nach einer Heuschreckenplage. Der Honk nämlich überfällt jeden Freitagabend flächendeckend sämtliche gastronomischen und kulturellen Errungenschaften der Hansestadt und macht sie damit zu Sperrzonen für die Einheimischen. Der Honk trachtet nach völliger Enthemmung und nennt es: „über die Stränge hauen, Bär steppen lassen, mal wen richtig hernehmen, einen losmachen“.

Honks sind Schalentiere. Sie kommen ausschließlich per Auto in die Stadt. Doch der Honk ist gnadenlos. Er verläßt seine Schale und verwandelt die geliebte Stammkneipe in eine Honkhöhle. Denn der Honk ist ein Herdentier. Er rottet sich grundsätzlich mit seinen Artgenossen zusammen. Der Honk plaudert über die „Lindenstraße“, seinen Job als Bankkaufmann und hat immer seinen Honklohn in der Tasche, was jeder Wirt weiß. Deshalb läßt er sie herein und spielt unablässig seichte, gutgelaunte Fahrstuhlmusik. Das liebt der Honk. Um an die Honkknete zu kommen, muß man immer so tun, als tue sich was. Die Gemütlichkeit der Stammkneipe, sie ist dahin. Selbst wenn das extra für Honk angelegte „Pupasch“ an den Landungsbrücken honkmäßig voll ist, hockt eine Abordnung in deiner Kiezkneipe. Merke: Am Wochenende ist Hamburg Honk-City. Um einen annähernd honkfreien Samstagabend zu verleben, braucht man einen erfahrenen Szene-Scout wie den 36jährigen Dieter K.: Seit acht Jahren widmet sich der Bar-Kenner der Honkforschung. Er öffnet die Kneipentür, nimmt die Witterung auf, guckt einmal rund und raunt: „Honks.“ Tür zu, nichts wie weg. Mit einem Honk gesehen zu werden löst jeden Hamburger aus dem Sozialverband. Daran hat auch die ambitionierte Initiative der Ungeliebten nichts geändert, ihr Image mit einem Promi-Honk aufzupolieren. Ganz intuitiv lehnt die gesamte Republik den in unmittelbarer Honk- Nachbarschaft wohnenden Tennis-Star Michael Stich solidarisch ab. Einmal Honk, immer Honk.

Das Allerschlimmste jedoch ist, wenn Honks die Grenzen des Anstands überschreiten und in den privaten Raum eindringen. Sogar unser hartgesottener Fachmann war entsetzt, als er zur Privatparty – der bislang einzigen Ausweichmöglichkeit für Hamburger Wochenenden – in den traditionsreichen Hamburger Ruderclub schritt. Das schöne Fest, es war verhonkt. Was sollte er tun? Einen Affront riskieren? In Hamburg niemals. Honks dulden? Never. Sie raustrieben? Zu viele. Das letzte, was von ihm berichtet wurde, war, daß er mit Tränen in den Augen auf den Rudersteg lief, heulte wie ein Wolf und den Kopf immer und immer wieder auf den Holzsteg schlug: Honk, honk, honk.

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