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Die Sparstadt der Nation

Eine Gemeinde in Ostwestfalen wahrt strikte Ausgabendisziplin/ Privatisierung und Wettbewerb als Kostendämpfer/ Opposition beklagt kommunales Angebot  ■ Aus Schloß Holte-Stukenbrock Walter Jakobs

Dem Bund der Steuerzahler (BdSt) dient die Gemeinde als leuchtendes Beispiel für sparsame Haushaltspolitik. Als Dank gab es Ende letzten Jahres für Bürgermeister und Gemeindedirektor von Schloß Holte-Stukenbrock, der gelobten Insel der finanziellen Solidität im öffentlichen Schuldensumpf, sogar den „Eisernen Steuergroschen“. Die Zahlen sind in der Tat beindruckend. Während überall in der Republik die Kommunen über die zunehmende Schulden- und Zinslast stöhnen, baute die 22.000 Einwohner zählende ostwestfälische Gemeinde ihre Verbindlichkeiten in den letzten Jahren kontinuierlich ab. Pro Kopf der Bevölkerung waren es Ende 1991 nur noch ganze 87 Mark. Zum selben Zeitpunkt schleppte Frankfurt einen Schuldenberg von 8.255 DM pro Einwohner mit sich herum.

Doch die am Fuße des Teutoburger Walds gelegene Kleinstadt steht nicht nur im Vergleich zur außergewöhnlich problembeladenen Mainmetropole gut da. Auch mit Blick auf vergleichbare Gemeinden ergibt sich ein ungewöhnlich positives Bild. Die durchschnittliche Verschuldung aller 20.000 bis 50.000 Einwohner zählenden westdeutschen Gemeinden lag mit 1.502 DM pro Kopf ebenfalls deutlich höher. Zauberei in Ostwestfalen? „Nein“, sagt Gemeindedirektor Burghard Lehmann, „wir haben nur nicht über unsere Verhältnisse gelebt.“ Vor allem die knappe Personalausstattung lobt der BdSt. Ganze 120 Bedienstete stehen auf der städtischen Gehaltsliste. Vergleichbare Kommunen beschäftigen etwa doppelt so viele. Privatisierung heißt des Rätsels Lösung. Kindergärten, Müllabfuhr, Straßenreinigung, Büchereien, Bauplanung, alles in privater Hand. Selbst sechs der sieben Friedhöfe werden privat gemanagt. Und auch der letzte soll nicht mehr lange bei der Stadt bleiben. „Wir decken bei gleichen Gebühren wie die Privaten nur 60 Prozent der anfallenden Kosten. Da können Sie sehen, wie schwach der öffentliche Dienst ist“, rechnet Gemeindedirektor Lehmann vor.

Jetzt ist er gerade dabei, einen privaten Betreiber für die soeben mit 13 Millionen Mark an Steuergeldern fertiggestellte Kläranlage zu finden. „Die können das billiger.“ Wieso? „Weil“, so sprudelt es aus dem Mund des Gemeindedirektors, „die zum Beispiel größere Rationalisierungsmöglichkeiten haben.“ So sei für die Anlage ein Laborant vorgeschrieben, den die Stadt aber nicht auslasten könne. „Ein mehrere vergleichbare Anlagen betreibender Privatunternehmer setzt den Mann ebenso an verschiedenen Stellen ein wie den Bereitschaftsdienst, der – von der Stadt betrieben – ebenfalls teurer käme.“ Insgesamt sei man „mit den Privaten sehr zufrieden. Wir privatisieren nur bei gleichbleibenden Standards.“ Auch bei der Bauplanung setzt die Stadt auf die Privaten. Lehmann wörtlich: „Wenn da ein Ingenieurbüro nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist, suche ich mir ein besseres.“ Von einem unfähigen Ingenieur im Bauamt könne man sich dagegen nicht trennen. Jetzt hat Lehmann den städtischen Bauhof im Visier. Grünflächen- und Sportplatzpflege waren wohl die längste Zeit in öffentlicher Hand.

Selbst Werner Busch, SPD-Finanzexperte im von der absoluten CDU-Mehrheit beherrschten Gemeinderat, hält von der finanziellen Kompetenz des Gemeindedirektors, der ebenso wie der Bürgermeister ohne Dienstwagen auskommen muß, viel: „Die rein technische und finanzielle Gemeindeleitung macht der unheimlich gut.“ Nur für die sozialen und kulturellen Belange der Gemeinde habe der Mann kein Gespür: „Da gebe ich ihm die Note ,mangelhaft‘.“ Busch „ärgert“ sich über das „permanente Privatisierungsgerede“. Tatsächlich seien die verkehrsgünstige Lage der Gemeinde, das Gewerbeflächenangebot und die vernachlässigten Investitionen für die besonders entspannte Schuldensituation weit mehr verantwortlich als die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen.

Für Gisela Dreismickenbecker, Ratsfrau der Grünen, ist die finanzielle Lage der Gemeinde „eindeutig einem Mangel an Angeboten geschuldet“. Es fehle an einem öffentlichen Bürgerhaus und an einer öffentlichen Bibliothek. Die Betreuung der Asylbewerber sei ebenso katastrophal wie die Schulsituation.

Die „dünne Personaldecke“ im Rathaus führe dazu, daß bestimmte Leistungen, wie etwa die Umweltberatung, nicht oder nur sehr schlecht erbracht würden. Um solche Defizite abzubauen, hätte sich die Gemeinde nach Auffassung der grünen Ratsfrau „ruhig höher verschulden können. Mich stört, daß die Gemeinde bei der Schuldendiskussion wie ein reiner Wirtschaftsbetrieb aufgefaßt wird und soziale Belange kaum noch eine Rolle spielen.“

Die Verweigerung der Gemeinde, einen kommunalen Kindergarten einzurichten, mache es zum Beispiel schwer, für nichtkatholische Kinder einen Platz zu finden. Fünf der sieben Kindergärten betreibt die katholische Kirche, „und wer da die falsche Konfession hat, kommt zuletzt dran. Das ist die andere Seite der Medaille.“

Doch den gewünschten Kurswechsel wird es nicht geben. Im Gegenteil. Gerade angesichts der aktuellen finanzpolitischen Diskussion fühlt sich Verwaltungschef Lehmann bestätigt. „Bei uns läuft es noch besser, aber wenn ab 1995 der Finanzausgleich neu geregelt wird, kommt es für alle Kommunen ganz, ganz hart.“ Für diese düsteren Zeiten glaubt sich die ostwestfälische Gemeinde noch am besten gerüstet. Bleibt es bei den Eckdaten des von Waigel vorgelegten „Konsolidierungsprogramms“, stehen den meisten Kommunen drastische Leistungskürzungen bevor. Dann werden sich die Blicke der westdeutschen Kämmerer womöglich neidvoll auf die Sparkönige in Ostwestwalen richten. 30.000 Mark an Zinszahlungen standen dort im letzten Jahr 1,2 Millionen Mark an Erträgen aus städtischen Geldanlagen gegenüber...

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