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„Ich bin nicht dazu da, die Leute abzuküssen“

Der Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes – preußisch, eitel, ökologisch/ Vom Streit um Dienstwagen und dem Beharrungsvermögen einer Behörde/ Wie sich Antwerpes durchsetzt  ■ Aus Köln Bernd Ulrich

Die Vertreibung aus dem Paradies vollzieht sich für die Westdeutschen etappenweise. Seit dem Fall der Mauer werden sie aus Steueroasen und privilegierten Schutzräumen herausgedrängt. Langsam zwar, aber immerhin. Am schlimmsten trifft es wieder einmal die mittleren Beamten. In Köln am allerschlimmsten die Autofahrer unter ihnen.

Das Verbot

Jahrelang konnten die Mitarbeiter des Kölner Regierungspräsidiums Dienstfahrten mit ihren Privatwagen zurücklegen. Als Belohnung für besonders viel Autofahrerei verlieh man einigen privaten Pkws den Stempel „überwiegend für den dienstlichen Gebrauch“. Daraufhin erhöhte sich die Kilometerpauschale auf 52 Pfennig. Das hochverschuldete Land Nordrhein- Westfalen steuerte weitere 1,6 Pfennig Versicherungszuschuß bei und gewährte alle fünf Jahre den betreffenden Staatsdienern ein, selbstverständlich zinsloses, Darlehen über 5.000 DM. Schließlich waren die Autohändler so frei, bei Vorlage der Bescheinigung über den „überwiegend dienstlichen Gebrauch“ einen speziellen Rabatt zu geben.

Der Spaß kostete allein das Regierungspräsidium 160.000 DM jährlich für 52 genehmigte Pkws. Und das betrifft nur die direkten Kosten. Wie viele Arbeitsstunden sinnlos hinterm Steuer oder gar im Stau verschwendet wurden, weiß bis heute niemand. Der Unfug ging so jahrein und jahraus, und alle waren zufrieden. Die Steuerzahler wußten ja nichts davon. Bis der Regierungspräsident mittels einer Hausverfügung dem ganzen Segen ein Ende bereitete. Mit Wirkung zum 1. September 1992 widerrief Franz-Josef Antwerpes alle Genehmigungen und schickte seine Mitarbeiter in die Bundesbahnen. An sieben Bahnhöfen stellte er als „Rail&Road“-System Leihwagen zur Verfügung, mit denen auch die hintersten Winkel des Regierungsbezirks zu erreichen sind.

Die Revolte

Um sich die Macht der nun losbrechenden Revolte vorzustellen, bedarf es lediglich der Kenntnis eines zusätzlichen Details – die Marke der Leihwagen, die an den Endbahnhöfen auf die geplagten Beamten warten: VW-Polo. Damit verwandelte sich die Sparmaßnahme des Regierungspräsidenten endgültig in einen Verstoß gegen die Menschenwürde. Heiliger Zorn flammte auf, ohne Maß, aber mit einem Ziel: Franz-Josef Antwerpes. Seine Untergebenen sprühten plötzlich vor Phantasie. Sie beklagten die Gefahr, ein ihnen völlig unbekanntes Fahrzeug besteigen zu sollen. Sie stellten Berechnungen an, aus denen zweifelsfrei hervorgeht, daß in einigen Fällen das Auto doch günstiger ist als Rail&Road. Alle 52 Sonderbegünstigten legten Widerspruch gegen den Widerruf ein. Die hauseigenen Pädagogen – zuständig für die Schulaufsicht – führten den Aufstand an und reichten sogar eine Petition beim Kultusminister ein. Kurz davor gegen das Mäßigungsgebot zu verstoßen, wetterte der Personalrat gegen seinen Chef, er habe „ohne Not Unfrieden ins Präsidium getragen“, und der Beamtenbund schickte Antwerpes einen pathetischen Weihnachtsgruß hinterher: „Lassen Sie nicht zu, daß sich in dieser Behörde gegenseitige menschliche Achtung aus dem Raume schleicht!“ Die Flure kochen, die Kantine brodelt. Das Verfahren schwebt bis heute.

Der Held

Nun enden Beamtenaufstände in Deutschland glücklicherweise nicht in wilden Bummelstreiks, sondern in Kommissionen. Dort sitzen jetzt leibhaftige Abteilungsleiter und suchen nach Kompromissen und Auswegen in der Dienstwagenaffaire. Franz-Josef Antwerpes ist siegessicher wie stets, wenn er ökologische Mäßigung verordnet. „Der Dienstherr kann seinen Mitarbeitern das Dienstfahrzeug vorschreiben“, behauptet er. Im übrigen lautet seine Devise: „Ich bin nicht dazu da, die Leute abzuküssen.“

Der 58jährige ist nicht nur der dienstälteste, sondern auch der bekannteste unter den 32 Regierungspräsidenten der Republik. Berühmt wurde Franz-Josef Antwerpes durch seine unerschrockene Art und seine medienwirksamen Auftritte. Ob bei der öffentlichen Weinlese im Garten des Präsidiums oder beim Straßenkampf gegen die Geschwindigkeitsverbrecher auf den Kölner Autobahnen – gerade wenn es um ökologische Belange geht, ist er nach eigenem Bekunden ein „Überzeugungstäter“. Wann und wie die Überzeugung zur Tat wird, das bestimmen allerdings weniger die Gefühlslagen des politischen Beamten als sein in beinahe 15 Dienstjahren geschärftes Kalkül. „Ich kann nicht von Euphorie leben, sondern nur von Fakten.“ So wird er das Jobticket für seine 1.000 Mitarbeiter gewiß nicht im Sommer einführen, weil dann ob der warmen Witterung die Nachfrage nach öffentlichem Nahverkehr und damit die publizistische Wirkung zu gering wäre.

Warum sich die Presse auf ihn stürzt, weiß er sehr genau. Im Zweifel läßt der Medienprofi auch rechtzeitig durchsickern, wohin genau und um wieviel Uhr sie sich zu stürzen hat. Seine Aktionen funktionieren immer nach dem Prinzip des populistischen Plebiszits. Von oben mobilisiert er mittels Öffentlichkeit die breite Masse, um den Wohlhabenden und Verwöhnten Privilegien abzujagen oder schlechte Gewohnheiten auszutreiben. Nicht wenige ärgern sich am Morgen über die verschärften Geschwindigkeitskontrollen, um bei der Mittagslektüre des Kölner Express den RP dafür zu bewundern.

Der Preuße

Mit dieser Methode setzt er Verzicht aus ökonomischen und ökologischen Gründen durch – auch gegen mächtige Interessengruppen, auch gegen die eigene Klientel. Er ist darin eine politische Ausnahmeerscheinung in unserem in Besitzstandsstarre gefallenen Land. Was in Bonn der Politik nicht gelingt, funktioniert in Köln ganz hervorragend. Das liegt sicher nicht allein an der Person Franz-Josef Antwerpes. Gleichfalls wichtig ist die autoritäre Stellung des Regierungspräsidenten im Regierungssystem.

Als zu Beginn des vorigen Jahrhunderts im Gefolge der Reformen von Stein und Hardenberg den Kommunen einige Selbständigkeit beschert wurde, haben die strengen Preußen den lockeren Rheinländern vorsichtshalber eine staatliche Aufsicht geschickt – eben den Regierungspräsidenten. Der paßt auf, daß in der Kommune alles gesetzlich zugeht und die Verwaltung die Vorschriften einhält. Zuständig ist die Aufsichtsbehörde im Zweifel für alles. „Zuständigkeitsvermutung“ nennt man diesen Freifahrtschein, überall reinzufunken. Bis auf den heutigen Tag mucken die Kölner Kommunalpolitiker gegen die unkölsche Konstruktion auf, schimpfen Antwerpes den „Kurfürsten von Köln“ und basteln an der Bildung von Regionalparlamenten, die den RP überflüssig machen könnten. Franz-Josef Antwerpes lassen solche Umtriebe kalt. Er muß sich schließlich weder von Kölner Bürgern wählen noch gar vom Stadtrat bestimmen lassen. Von oben, vom Düsseldorfer Innenminister, wird er eingesetzt. Das heißt, Herbert Schnoor könnte ihn auch wieder absetzen. Aber der wird einen Teufel tun. Schließlich sind die fünf RPs im Lande fein säuberlich auf CDU (2) und SPD (3) aufgeteilt. Unruhe verdirbt da nur die Stimmung. Besonders wenn es um einen Beamten von Antwerpes Kaliber geht.

Der Detailökologe

Also sitzt Franz-Josef Antwerpes ungewählt und ungefährdet als kleiner Öko-König in seinem riesigen Dienstzimmer. Die Füße auf dem Schreibtisch, auch wenn er Gäste hat; die Hände in den Taschen, auch wenn er spricht. „Ich“, so fangen fast alle seine Sätze an, „ich würde meinen Sturm und Drang bei kürzeren Wahlperioden nicht aufgeben. Denn bei mir gibt es den Widerspruch zwischen Reden und Handeln nicht wie bei anderen.“ Er versucht nämlich konsequent, auch privat ökologisches Vorbild zu sein, und sammelt seinen Müll zu Hause in sage und schreibe 36 Fraktionen. Er – und seine Frau – trennen bedrucktes von unbedrucktem Stanniolpapier, Korken von Flaschen, PS-Joghurtbecher von PP-Joghurtbechern. Im Garten hält der Ökologe mit Sinn fürs Detail drei Komposthaufen inklusive Schermaus, wie ihn der Kölner Zoodirektor belehrt hat. Aber „man ist kein Heiliger“, gibt der drahtige Jogger zu. Beispielsweise leistet er sich jeden Tag nach dem Dauerlauf einmal Duschen. 17 Liter Wasser verbraucht er dabei. „Habe ich selbst ausgelitert.“

Trotzdem bemüht sich der in seinen steifen Anzügen so preußisch wirkende Rheinländer, das Leben zu genießen. Seine Havanna-Kollektion gilt als ebenso erlesen wie – Alfred Biolek ist sein Zeuge – der heimische Weinkeller. Das Teewasser läßt er sich aus der Eifel kommen – mit dem Dienstwagen, wie böse Zungen behaupten.

Alles in allem ist Franz-Josef Antwerpes so zufrieden mit sich und seinem Amt, daß es ihn nicht nach höheren Aufgaben drängt. Obwohl er sehr gern einräumt, die heutige Zeit schreie geradezu nach Politikern, die in der Lage sind, auch schmerzliche Notwendigkeiten durchzusetzen. Und wenn in der Landeshauptstadt Düsseldorf neu gemischt wird? „Mische ich nicht mit.“ Dafür ist er bei den Genossen wohl auch zu unbeliebt. Anders als daheim bei seiner „Fangemeinde“ (Antwerpes).

Der Sonderling

Daß die Grünen in der Region wenig Gefallen am ökologischen Regierungspräsidenten finden und ihn als „reinen Verkehrsökologen“ verspotten, liegt allerdings nicht an den kleinen Widersprüchen zwischen Hedonismus und Ökologie, unter denen Antwerpes leidet. Sie werfem ihm vor, in Sachen Müllverbrennung „gegen die Müllinitiative Amok zu laufen“, wie sich ein Aachener Grüner beklagt. Tatsächlich setzt der Regierungspräsident intern auch seine Oberkreis- und Oberstadtdirektoren unter massiven Druck, alsbald Müllverbrennungsanlagen zu bauen. Ansonsten werde er die „Ersatzvornahme“ einleiten – eine bürokratische Umschreibung für Oktroi. Antwerpes will auf Biegen und Brechen sein Konzept der kleinen schienenangebundenen MVAs mit optimierter Technik durchsetzen.

Auch von der Ökopartei läßt sich der Sonderling nicht vereinnahmen. Wenn MVAs sein müssen, müssen sie sein. Das sagt er den Grünen. Und wenn er keine Anlagen will, die so groß sind, daß sie „Müll suchen“, schaltet er auch gegenüber den MVA-Betreibern der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke auf stur. Wenn der RP gegen Geschwindigkeitsübertretung auf den Straßen vorgeht, dann gründlich und auch gegen Fahrräder. Natürlich überzeugt er sich dazu vorher höchstpersönlich auf dem Rad von deren Fahrverhalten in der kölnischen City.

Franz-Josef Antwerpes ist zu stur, um sich in Filz und Fesseln legen zu lassen. Seine Position ist zu wählerfern, als daß er sich anpassen müßte. Er ist extrem eitel, bescheidet sich zur Not aber auch mit dem Beifall, den er sich selbst spendet. Detailgetreuer Ökologe zwar, fühlt er sich dennoch zu einem schichtenspezifischen Hedonismus verpflichtet.

Diese einzigartige Mischung macht ihn frei. Und sie setzt ihm die Grenzen. Jenseits von Wermelskirchen, Wipperfürth, Rheinbach und Geilenkirchen, näher an der Wut der Wähler würde er damit wohl nicht durchkommen. Ob Verzicht autoritäre Strukturen und Typen braucht, darüber gibt die Methode Antwerpes keine vollständige Auskunft. Der Dienstfahrtenmißbrauch im Regierungsbezirk jedenfalls ist bald zu Ende.

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