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Gutdeutsch ausgeflippt

■ Hans Zender und das Sinfonieorchester des NDR in der Musikhalle

und das Sinfonieorchester des NDR in der Musikhalle

Wo andere am Sonntagmorgen mit zahnlosem Haydn zu beginnen pflegen, ließ Hans Zender die Schlagwerker des NDR-Sinfonieorchesters gleich zu Beginn so richtig einsteigen. In Bernd Alois Zimmermanns Impromptu für Orchester haben sie auch weiterhin viel zu tun. Denn durchgehend auf verschiedene Instrumente verteilter Rhythmus dient als Grundlage eines abwechslungsreichen Geschehens.

Der Cellist Heinrich Schiff scheint ein idealer Partner für Zender nicht nur wegen beider konsequent antiglamouröser Erscheinungsweise. Sie tun auch beide sehr viel für zeitgenössische Musik. Hätten sie nur Schumanns schönem Cellokonzert, und auch Mendelssohn Bartholdys nach der Pause programmierter Konzertouvertüre Das Märchen von der schönen Melusine etwas mehr von der Frische des Eröffnungsstücks gegönnt - ein Großteil des Publikums wäre weniger beruhigt, ein kleinerer Teil weniger gelangweilt nach Hause gegangen.

Dabei ging alles tadellos. Schiff kennt ja weder technische Probleme, noch bietet die Schumanns Partitur. Da das Stück aber von der egomanen Erzähllust des Soloinstruments lebt, hätte man sich von Schiff schon im ersten Teil die Ausstrahlung gewünscht, die er im zweiten, gefühligeren, entwickelte. Dialogisch dramatische Spannung zwischen Solist und Orchester sieht Schumann erst im dritten Teil vor. Zender und Schiff ließen sie mählich entstehen. In Mendelssohns Ouvertüre, die gleichfalls aus der Spannung zwischen den Themen von Meerjungfrau und Ritter lebt, fehlte sie wieder gänzlich.

Bei Max Regers Vier Tondichtungen nach Bildern von Arnold Böcklin handelt es sich, genau gehört, weniger um Programmusik als um Ansätze zu einer Sinfonie, an die sich Reger nicht mehr herantraute. Dritter und vierter Satz sind ausgemachte Sinfoniesätze. „Die Toteninsel“, ein Trauermarsch mit klanglich und dynamisch schön aufgebauten Durchbrüchen elementaren Schmerzes, das „Bacchanal“ - ganz anders als etwa Berlioz' extrovertierte Ausschweifungen - ein gutdeutsch ins Innerste ausflippender Schlußsatz. Zender schlug endlich, wohin er schlagen muß: über die Stränge. Stefan Siegert

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