Die Gleise der Erinnerung

■ Anders als geplant: Die Trains-Projektionen von Shimon Attie in der Wandelhalle

-Projektionen von Shimon Attie in der Wandelhalle

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2å Es war die Hamburger Bundesbahndirektion, die die Pläne für den Mediale-Beitrag Trains des US- Amerikaners Shimon Attie „überholte“. Seine Idee war, Porträtfotos von Hamburger Juden, die mit Zügen deportiert wurden und somit in den Tod fuhren, auf fahrende Züge zu projizieren. Ein zu hohes „Sicherheitsrisiko“, wie die Bundesbahn feststellte. Die Lichteffekte der über Waggons und Gleise wandernden Projektionen könnten nicht nur die Reisenden, sondern auch die Zugführer irritieren, so die Befürchtung.

Shimon Atti, der in San Franzisco Kunst und Fotografie studierte, und Matthias Meile, der bei der Realisierung des Projekts mitwirkte, mußten kurzfristig umgestalten. Jetzt erwarten zwei vom Dach der Wandelhalle hängende Leinwände den Anblick des vorübereilenden Publikums. „Der Kontrast der Schwarz-weiß-Fotos zu den bunten Reklame-Schildern ziehen den Blick an“, sagt Attie, als ob er sich selber von den Vorteilen seines veränderten Konzeptes überzeugen will. Denn: „Die Wirkung ist natürlich anders“ als geplant. Auf dem Bahnsteig wollte er die Blicke der wartenden Fahrgäste fangen. Ohne den Betrachter zu schockieren und ohne „den moralischen Zeigefinger zu erheben, die Parallelen zu heute“ skizzieren.

Jetzt muß sich der Betrachter dennoch erst vergegenwärtigen, daß es sich bei den ernsten Gesichtern, die sich von den Gleisen „erheben“, nicht um Werbung handelt. „Man muß sehr vorsichtig sein, wenn man die Leute an die Ereignisse der Nazizeit erinnert“, sagt Attie. „Wenn man Leute auf der Straße um Geld bittet, erschrecken sie und nehmen eine ablehnende Haltung an. Das gleiche passiert, wenn man die Leute mit der Geschichte konfrontiert“.

Für Attie, der auch einige Jahre in Israel gelebt hat, ist seine Auseinandersetzung mit der Geschichte in erster Linie nicht politische Arbeit, sondern „persönliche Reaktion“. „Die Personen sind austauschbar“, erzählt Atti, „ich aber bin Jude und ich will die Geschichte meiner Leute verarbeiten“. Er fühle sich mit der Geschichte der Juden in Europa emotional verbunden. Auf der Suche nach den Wurzeln

1des zerstörten jüdischen Lebens, kam er nach Deutschland.

In Berlin realisierte er sein erstes Projekt Finstere Medine, ebenso wie Trains eine „eindringliche Erinnerungsarbeit“. Das jüdische Straßenleben des Berliner Scheunenviertels projizierte Atti von Fotografien aus der Vorkriegszeit in die Straßen von heute. Für den fünfzigsten Jahrestag „der Befreiung“, 1995, plant er ein Projekt, das gleichzeitig in fünf europäischen Großstädten stattfinden soll, „dort wo es früher jüdische Gemeinden gab“. Nikos Theodorakopulos

Wandelhalle im Hauptbahnhof, bis 12. Februar, tägl. von 14-24 Uhr